Ein richtiger Sumotori weint nicht

Schmach für Japan: Ein fetter Amerikaner aus Hawaii gewinnt des Kaisers Sumo-Pokal  ■  Chikako Yamamoto/Georg Blume

Tokio (taz) - Der Sumo-Sieger weinte. „Welch große Tränen aus solch großen Augen!“ stammelte der Fernsehkommentator voller Entsetzen. Das hatte sich noch kein Sieger erlaubt. Das hatte es im Sumo, dem Kampfsport der Samurai, noch nie gegeben - Tränen, einfache Tränen. Der Sieger nahm ein kleines rosa Handtuch, trocknete sich die Augen, doch der Skandal war nicht mehr wegzuwischen. „Ich habe nicht gedacht, daß ich weinen würde. Ich konnte es nicht verhindern“, stotterte der Sieger schüchtern ins Mikrofon. Kein Zweifel, es mußte sich um einen Ausländer handeln.

Die Siegertränen retteten den japanischen Nationalstolz. Die Abgrenzung gegenüber dem Fremden war wieder möglich, der Sieger in gewisser Weise entlarvt. Doch den Sumofans - und fast alle Japaner und Japanerinnen begeistern sich für diesen jahrhundertealten Ringkampfsport - kann der gestrige Abend dennoch nicht leicht gefallen sein. Da gewann ein Ami aus Hawaii des Kaisers Sumo-Pokal. Konishiki nennt er sich im Ring, ist 25 Jahre alt und 222 Kilo schwer. Sein eigentlicher Name lautet Saleeva Atisanoe, und er ist seit gestern der erfolgreichste nicht-japanische Sumokämpfer aller Zeiten.

Nur einmal zuvor gewann ein Immigrant, ebenfalls aus Hawaii, das Sumoturnier der höchsten Klasse. Das war 1972. Doch hatte Konishikis Vorgänger, der Sumotori Takamiyama, damals nicht den gleichen Kämpferrang erworben. Konishiki ist nämlich „Ozeki“ - das ist die zweithöchste Stufe im Sumosport. Sie wurde vorher noch von keinem Ausländer ereicht. Und nun ist Konishiki sogar drauf und dran, „Yokozuna“, „großer Meister“ zu werden, falls er den Kampfrichtern auch beim nächsten Kaiser-Turnier, das sechsmal im Jahr stattfindet, gefällt.

Den entscheidenden Kampf gewann Konishiki bereits am Freitag. Da trat er gegen den Yokozuna Chiyonofuji an, den zweitbesten Sumokämpfer aller Zeiten. Achtmal hintereinander hatte Chiyonofuji zuletzt im Kaiser-Turnier gesiegt, und dreißigmal insgesamt. Er wiegt nur 125 Kilo und ist damit ein vergleichsweise leichter Kämpfer - dafür ist Chiyonofuji um so schöner. Ein wahrer japanischer Held, den insbesondere Japanerinnen lieben, der zweite Sportler überhaupt, der vom Premierminister die höchste nationale Auszeichnung, den „Preis der Volksehre“ erhielt.

Wer außerdem weiß, daß Sumo eine zutiefst dem japanischen Shinto-Glauben verbundene Sportart ist, wo immer noch jeder Kämpfer vor dem Antritt eine Handvoll Salzkörner in die Luft wirft, um böse Geister von der Kampffläche zu vertreiben, der ahnt, wie unverständlich es dem japanischen Kaisergläubigen und Sumoliebhaber gewesen sein muß, als der ungläubige Konishiki den Halbgott Chiyonofuji aus dem Ring schubste. Doch es geschah.

Aber, dem Kaiser sei Dank, Konishiki ist kein normaler Ami. Nach Hautfarbe und Aussehen könnte er auch von einer der südlichen japanischen Inseln stammen. „Als er 1982 nach Japan kam“, tröstete ein alter japanischer Sumostar das Fernsehpublikum, „nahm er sich ein Japanischlehrbuch der ersten Klasse und lernte unsere Sprache. Deswegen spricht er so gut japanisch. Und heute ist er wirklich ein richtiger Sumokämpfer.“ Das beruhigt das klopfende japanische Sumoherz.

Nur der US-amerikanische Präsident konnte es nicht lassen, die japanische Seele zu verhöhnen. George Bush telegraphierte an Konishiki: „Wir waren überzeugt von ihrem Sieg, und wir sind stolz auf sie. Alle Amerikaner und Japaner feiern zusammen ihren Sieg.“ Das geht dann doch zu weit. Auch der Tenno gratulierte dem Sieger diesmal lieber nicht.