BLUTBLUMENEPIGONEN

■ „Treffen junger Autoren“: 22 Dichterteenies im Trainingscamp

Junge AutorInnen sind über 15 und noch in ihrer Erstausbildung gefangen. Gegen die eigene unklare Vorstellung der 70er-Jahre-Generation, stellen sie sich in einer Broschüre vor, mag auch „Die Biographie eines kreativen Menschen“ „absolut unwichtig“ sein. Die meisten sind „schreibsüchtig“, manche sind in der präventiven Suchtarbeit engagiert oder beim CVJM. Mit Hilfe des Deutschlehrers hat jemand bereits veröffentlicht: „In mir gibt es vieles ... “ Das Schreibbedürfnis, so wird berichtet, wurde „im Deutsch-LK in der Sek. II.“, den man „zufällig belegen mußte ... gefestigt und gesteigert“. Alle lesen, natürlich, manche mögen am liebsten „Gnomgeschichten mit Happyend“

Am schönsten stellt sich eine Mainzerin vor: „Beim Schreiben erfahre ich von Menschen und Ereignissen, von denen ich vorher gar nichts wußte und die sich scheinbar von alleine aus mir herausschälen. Oft fühle ich mich dann wie ein Überraschungsei.“ Fernsehen mag sie am liebsten, weil man dabei „sein Gegenüber so ungeniert anstarren kann“. „Neue Aufrichtigkeit“ ist vielleicht ein Schlüsselwort dieser Generation. Dem „Hi, How are you“ (Daniel Johnston) dieser Richtung im Popgeschehen entspricht eine andere Dichtervorstellung: „Guten Tag. Ich heiße ...“) Verstellungen sind nicht mehr notwendig. Und selbst die, die in ihren Vorstellungen noch posierten, sind gar nicht so, sondern erklären und reden eifrig und aufmerksam.

Zwei Workshops boten sich den Dichtern an. In einem ging es ums Veröffentlichen - wo und wie und wann, kann man etc. Vier Jungs beteiligten sich. Die anderen übten Schreiben, resp. unterhielten sich (oder ließen sich unterhalten) über die „Lust am Schreiben“. Das wichtigste, so Friedrich („Fritz“) Mülder, Kieler Schriftsteller und Jurymitglied, sei nicht das Handwerk, sondern die Natur des Dichters, auch wenn, wie er andererseits zitierte, das Dichten aus 99 Prozent Transpiration und 1 Prozent Inspiration bestehe.

Man beginne damit, sich „den Kummer von der Seele“ zu schreiben, und lande bei der Frage: „Was hab ich den Menschen zu sagen“. Dann erhebt sich auch schon der Literat „in andere Dimensionen“, ist „Filter“ einer Wirklichkeit, die so ungefiltert daherkommt - „Wer den intuitiven Antrieb hat, wird das schon verstehen“ - und dann wird alles zur Schrift. Ein „entpersönlichtes Schreiben“ beginne, dem jeder Anlaß nur Recht sein kann. „Macht man Metaphern? - Sie entstehen.“ Geschichten „braten aus einem heraus“. Und „dann sind Dinge darin, die kann sich der beste Sprachwissenschaftler nicht ausdenken“, ergänzt der Berliner Juror und „Litfass„-Herausgeber Assen Assenov.

Junge Autoren schreiben das mit oder kucken erstaunt. „Was treibt mich da, daß ich das muß“, fragt Mülder im graubraunbequemen Dichterdress. Der Weg sei das Ziel, antwortet anderntags Assenov - (die jungen Dichter allerdings haben alle recht konkrete Zukunftsvorstellungen)

-, und dann muß erlebt werden, denn man kann nur über die Sachen schreiben, die einen „anbrennen“ resp. „anzupfen“. Der Schriftsteller muß „in sich hineinhören“ empfiehlt Mülder einer staunenden Jugend. Das „Mißlungene“, die „Erschütterung“ führe zur Schrift. Oder: „Jemand, der schreibt, der lebt von seinen Unsicherheiten.“ Manchmal, so Assenov, entstehen nur zwei gültige Worte in zwei Wochen. Nun denn. Und „die Verletzung ist die Lust, die wir suchen müssen.“ „Nicht Viele sind berufen...“ Die so Gerufenen schweigen verwirrt.

Dann meldet sich einer: Wie kann man denn erkennen, ob das, was man so schreibt, gut sei, möchte er schüchtern wissen. Eine „erschütternde Frage“! Jeder, der hier sei, so die Workshopleiter, habe etwas Gültiges abgelegt, und außerdem sagt „jemand Kompetenteres“, R.M. Rilke, den man für kompetenter hält: „Es gibt nur ein einziges Mittel: Gehen Sie in sich! Gestehen Sie sich ein, ob sie sterben müßten, wenn sie nicht schreiben dürften.“ Erschlagen nickt der Frager. Viel Lesen muß der Schreiber, Bildungslücken auffüllen, alles kennen, viel erleben ... Die jungen Dichter scheinen nicht allzu begeistert über soviel „müssen“ zu sein. Im Dialog wird die Dominanz der Leiter beklagt, die am nächsten Tag alles anders und besser machen.

Am nächsten Tag also wird Schreiben gelernt. Jeder soll fünf Worte, die ihm gerade einfallen, notieren, jeder soll seinen Notizzettel dem Nachbarn geben, der dann das Wort unterstreicht, daß er am schönsten findet. Zu diesem Wort sollen jeweils fünf Sätze gebildet werden, den schönsten Satz unterstreicht wieder der Nachbar und zu diesem Satz schreibt jeder - zehn Minuten Zeit - eine Skizze.

In den so entstandenen Texten ist viel von oben und unten die Rede. „Nicht hinunter ins sogenannte Leben“ will ein, „verstricke dich nicht“ warnt ein anderer; „kein Ende - nur Wände“, zwischen „Himmel und Schoß“ verwirrt sich das Gefühl eines jungen Mannes, dem die Himbeersträuche zu „Blutblumen“ werden. „Stoßen“, „eindringen“, „zerbeissen„; von Blut ist geschlechterübergreifend viel die Rede. Man möge sich auf unmittelbar Erlebtes zu beschränken, mahnt Assenov, dem die Stellen, „wo die Sinne direkt beteiligt sind“, am besten gefallen. Der Schüler merkt sich's und hat gelernt: „An Stoff mangelt es nicht“ und „Ich muß mir sagen: Jetzt schreiben!! Wann sonst!?“

Jurymitglied Tilman Müller schrieb nach dem Studium der Wettbewerbstexte, daß „auffällig wenige Beiträge“ eingesandt wurden, „die eine Art Lebensgefühl dieser Generation ausdrücken“ und vermutet, daß es „ein solch zusammenführendes Lebensgefühl, das frühere Jugendgenerationen prägte, zur Zeit auch gar nicht geben“ kann, „weil die turnschuhtragenden Erzeuger dieser Generation oft bis zum heutigen Tag vor Jugendlichkeit derart (s)trotzen, daß den Teenagern schon die Lust an der Suche nach einem jugendlichen Ich oder Wir vergangen ist.“ Dieser Verzicht allerdings auf ein in aller Begeisterung veräußertes Jungsein ließ zumindest diese Nichtraucher und -trinker-Teenager selten altklug, sondern in erster Linie offen und unbelastet erscheinen - noch der blutlüstern -stilisierte Dichter erklärte den anderen, was er denn damit meine. Eine Generation jedenfalls, die mit der Rede über Leid und Fremdheit am Leben, die den Dichter erzeugt, wenig anzufangen weiß.

Ob allerdings sich hinter dieser schreibenden Generation ein Rust verbirgt als unmittelbarer (ohne Medium Stift) Ausdruck der 70er Jahrgänge, als einer, dem sein Ausdrucksmittel, die Fluglizenz, entzogen wurde und der deshalb auf andere Ausdrucksmittel - das Messer zurückgreifen mußte?

Detlev Kuhlbrodt