Unerhörtes vom raffiniert Bescheidenen

■ „Wenn der Senator erzählt...“ H.-W. Franke las Balladen bei Ernst Waldau

Vielleicht hätte er statt stattlichem Staatsschauspieler doch lieber einfacher Stadtballadist werden sollen, oder noch schöner: städtischer Balladensänger. Selbst wenn der Gesang noch fehlt, der Bedarf ist da. Der „dramatisch zugespitzte Bericht von einem ungewöhnlichen Ereignis“ (Großes Dudenlexikon) wird nur jetztzeitlich zumeist von den bunten Serien aus den öden Kästen übernommen, wenn auch nicht als „gereimtes Strophengedicht“. Der Bremer Bildungssenator Horst-Werner Franke hat mit seinem Begehr, das Baby-und Kinderfernsehen zu verbieten, schon Vorarbeit geleistet für die Wiedergeburt des gehörten Unerhörten, der Ballade.

Vielleicht aber geht es ja auch andersherum, nicht übers Verbot sondern übers Angebot. Vielleicht müßte da einfach einer aus seinem dicken, dicken Balladenbuch vorlesen. Vor rotem Plüschvorhang, auf dem ein schweres Goldgerafftes aus Waldaus Theaterfundus die Flügel spreizt, als sei's der fette Bundesadler persönlich, der kugelkluge Kopf gegen das Goldgeraffte anglänzend, standhaltend dem nervzerschneidenden Pfeifton, der zum Betreiben des blendenden Scheinwerfers unabdingbar ist, er müßte lesen unbeschadet vom rapide abnehmenden Luftvorrat im engen Kellerraum mit immer zarter blühenden Apfelbäckchen.

So tat es am Montagabend im Ernst Waldau-Theater der stattbekannte Märchenerzähler, müßte heißen Balladenerzähler, Horst-Werner genannt Thomas Franke. Tat es so artikuliert wie sein namensgleicher Staatsschauspieler, aber bescheidener, selten humoresk in die Vollen gehend, immer rechtzeitig wieder leise, hingegeben an diese schönen, oft altmodischen Texte, die er da ausgesucht hatte. An die traurige Komik des „armen Schneider“ von Georg Weerth: „Der Schneider starb um halber acht, und niemand weiß warum„; an den expressionistischen Schauder über das grausame, häßliche Dasein in der „Modernen Großstadtballade“ von Arno Holz, an Georg Herweghs fidel -demokratischen Spott: „Im Bayerland, im Bayerland, da war der König durchgebrannt“. An den senatorischen Selbstdarsteller erinnert nur der Name des Abends. Und der stammt aus einer Degenhardtballade, die den großen Senator ironisiert, der seine (für andere) bedrückliche Macht hinter seiner breitgetreten-bedrücklichen Jugend versteckt.

Das Publikum - bißchen aus Walle, bißchen nicht, keine Prominentenfans, keine schicken Leute- zollt dem raffiniert Bescheidenen den Beifall, den er sich ausgebeten hat: nicht mechanisch immerzu, sondern dann, wenn es ihm sehr gefällt. Wie z.B. bei den „Drei Hasen“ Morgensterns. Deren spielerisch Absurdes kam so leicht und liebevoll daher, da haben wir hingehorcht, als sei die Glotze noch nicht erfunden.

Uta Stolle