: Verantwortung
■ Die Freien Demokraten Ungarns sind in der Zwickmühle
Das hätte wohl niemand zu prognostizieren gewagt: Die ungarischen Freien Demokraten, deren führende Mitglieder sich noch vor Jahresfrist zwischen Knast und Untergrund bewegten, haben einen glänzenden Erfolg errungen. Mit der hauchdünnen Mehrheit von gerade 8.000 Stimmen gelang es ihnen, die ungarische Innenpolitik gründlich durcheinanderzuwirbeln und sich als dritte Kraft im Lande zu etablieren. Denn nun wird es der Kopf der Reformbewegung und Führungsmitglied der Sozialisten, Imre Pozsgay, schwer haben, noch Präsident zu werden. Und bitter muß es für Pozsgay sein, als derjenige, der von innen, aus dem Regime heraus, die Reform zustande brachte, politisch ins Abseits gedrängt zu werden. Auch das Demokratische Forum, die oppositionelle Konkurrenzpartei der Freien Demokraten, ist über das Ergebnis keineswegs erfreut. Indem es sich gegen das Volksbegehren stellte, hat auch dessen Führung eine herbe Niederlage hinnehmen müssen.
Auch wenn die Freien Demokraten vorgegeben haben, es ginge ihnen allein ums Verfassungsrecht, die indirekte Wahl eines Präsidenten - wie in der BRD oder Schweden sei dieses Modell dem angelsächsischen der Direktwahl vorzuziehen -, spielte seit Beginn der Unterschriftensammlung für das Volksbegehren doch viel Taktik mit. Es ging den Freien Demokraten allzu vordergründig darum, Imre Pozsgays Aufstieg zu verhindern. Wer verfassungsrechtlich und somit mit dem Blick für das Ganze argumentiert, sollte sich nicht den billigen und schnellen Erfolg suchen. Es ist wohl richtig, daß eine zukünftige Verfassung erst von dem neuen Souverän, dem frei gewählten Parlament, zu bestimmen ist und somit auch die Frage der Präsidentenwahl. Die Autorität des ehemaligen Reformkommunisten Pozsgay und seine internationale Reputation jedoch in der jetzigen Krisensituation zu demontieren hilft dem Fortgang der Entwicklung zur Demokratie nicht. Besser wäre es, mit dem Pfund, das Pozsgay darstellt, zu wuchern - zumal kein anderer ernstzunehmender Kandidat in Sicht ist.
Aus dem beabsichtigten Achtungserfolg für die Wahlkampagne zum Parlament ist eine staatspolitische Affäre geworden. Es ist nun an der Zeit, über die Taktik hinaus zu denken. Wenn jetzt die Freien Demokraten plötzlich signalisieren, sie seien bereit, nach den Parlamentswahlen auch eine Direktwahl des Präsidenten zuzulassen, zeigen sie nicht nur an, selbst vom Wahlergebnis überrumpelt zu sein, sondern auch, daß der geordnete Rückzug von der eigenen Taktik schon eingeleitet ist.
Erich Rathfelder
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