Stasi-Mielkes „Bullenelf“ auf rasanter Talfahrt

■ Der Ostberliner Fußball steckt in der Krise, seit der BFV Dynamo nicht mehr vom Ex-Stasi-Chef protegiert wird / Der Lokalkonkurrent „Eisern Union“ Berlin versucht nun den sportlichen Aufstieg in die erste Liga / Grenzüberschreitende Fangemeinde auch bei Hertha BSC / Hoffen auf Lokalderby Hertha BSC gegen 1. FC Union

Die Volksrevolution in der DDR kennt auch sportliche Verlierer. Zum Beispiel den BFC Dynamo Berlin, seit 1977 zehnfacher Fußball-Landesmeister und amtierender Pokalsieger. In der laufenden Meisterschaftssaison 1989/90 sind die schärfsten Rivalen der Berliner - Dynamo Dresden sowie der 1. FC Magdeburg zuvorderst - den Weinroten vom Prenzlauer Berg punktemäßig schon fast davongezogen. Vor kurzem reichte es dem früheren Abonnementmeister im heimischen Stadion an der Cantianstraße nur zu einem kläglichen 1:0-Sieg gegen Oberliga-Neuling und Schlußlicht Fortschritt Bischofswerda. Zuvor scheiterten die Mannen, die nur noch nebulös an Dynamos erinnern, im Europapokal der Pokalsieger an den fürstlich-biederen Kickern des AS Monaco. Was ist los im Friedrich-Ludwig-Jahnsportpark, der Heimstatt des einst erfolgsverwöhnten Vorzeigeclubs?

Wie der politische Überbau des Staates, so trudelt auch der BFC Dynamo weitgehend entmachtet und seiner sportlichen Legitimation verlustig einer wenig rosigen Zukunft entgegen. Denn der Club-Präsident hat in jüngster Vergangenheit entscheidend an Ansehen und Einfluß verloren. Es ist Erich Mielke, der 81jährige Ex-Minister für Staatssicherheit der DDR, der mit Honecker, Mittag und Co. seinen Hut nehmen mußte. Fußballfan Mielke sorgte stets für einen überlegenen Dynamo-Kader. Er holte - besser: beorderte - gestandene sowie talentierte Spieler aus allen Teilen der Republik nach Berlin zu Dynamo, dem Verein der Volkspolizei und der Stasi. Auch wenn es den Konkurrenten nicht paßte, sie mußten sich fügen. So stehen in den weinroten Reihen überdurchschnittlich viele Mecklenburger, allen voran Sturm -As Thomas Doll, früher Hansa Rostock.

Aber selbst wenn Dresden, Leipzig, Jena oder Magdeburg den Hauptstädtern auf dem Rasen Paroli bieten konnten, durfte sich Mielkes Dynamo getrost auf die Schiedsrichter verlassen. „Wir grüßen den DDR-Meister und seine Schiedsrichter“, prangte es von den Transparenten im heimischen Fanbereich, wenn die „Bullenelf“, wie das Dynamo -Team getauft wurde, auswärts antreten mußte. Der „Schiebermeister BFC“ wußte nur zu gut, auf wen und was er sich verlassen konnte: „Hilfe vom Schiri, eh‘ wat schiefjeht“, hieß es sogar in den eigenen Reihen - sofern die Truppe aus dem Jahnsportpark über so etwas verfügt. Hartnäckige Kritiker behaupten seit jeher, der zehnfache DDR -Meister verfüge über die lichteste Anhängerschar der Republik. Mielke machte es möglich!

Haarsträubende Elfmeterentscheidungen zugunsten der Weinroten von Cantianstraße, fragwürdige Sperren gegen gefährliche Gegenspieler, überlange Spielzeiten bis zum Happy End für Dynamo: Nie zu belegende Skandale pflastern den Erfolgsweg der Stasi-Vopo-Truppe. Wenn einem gegnerischen Trainer doch einmal der Gaul durchging, so geschehen vor zwei Jahren nach einem Ortsderby zwischen Dynamo und Union, wurde er kurzerhand aus der laufenden Pressekonferenz zitiert und zu Wohlgefallen vergattert. Ein unberechtigter Elfer? Keine Spur!

Das saß - bis vor kurzem zumindest. Dann allerdings, so munkeln Insider, muß es selbst dem Deutschen Fußball-Verband (DFV) der DDR zuviel geworden sein. Daheim hui, auswärts jedoch pfui. Die schlechten Leistungen in internationalen Wettbewerben - mitunter bedeutete gar eine isländische Mannschaft das frühe Aus im Europapokal der Meister - gaben wohl den Ausschlag. Der Club von der Spree hingegen war offensichtlich auf Normalmaß zurückgestutzt worden. Fortan litt er zunehmend unter seinem negativen Image als „Stasi -Elf“. Die Dynamo-Aktien in der Bevölkerung sanken unterdessen in den Keller. DFV-Auswahlstürmer Rainer Ernst und Kollege Dall beschweren sich nun auch in der Öffentlichkeit über Haßtriaden selbst von seiten Heranwachsender. Neunjährige Kinder bespucken demzufolge die Sportler der „Stasi-Elf“ oder bombadieren sie mit wüsten Flüchen. Die Vereinsführung reagierte mit Glasnost. Kaum wurden die Anfeindungen ruchbar, öffnete der Club die Tore zu seinem - sonst hermetisch abgeriegelten - Trainingslager, einem Stasi-Quartier südlich von Berlin. Dennoch scheint die Talfahrt des einstigen Hätschelkindes anzuhalten. Akteure, die ansonsten zum Mielke-Stall „abkommandiert“ worden wären, widersetzten sich einem Transfer zu Dynamo. So geschehen im Fall von Rene Deffke, Nachwuchsstürmer beim Lokalrivalen 1. FC Union Berlin. Er schob den von BFC Dynamo angebotenen Vertrag ohne Unterschrift wieder zurück und wechselte stattdessen in die Provinz zu Motor Ludwigslust. Der just eingeführte „Nicht-Amateur„-Status der DDR-Oberliga-Kicker half ihm dabei: Weil fortan Ablösesummen bezahlt werden müssen, gelangte mehr System in das mitunter recht dubiose Wechselgebaren des bisherigen DDR-Fußballs. Deffke spielt mittlerweile im Westen und hofft auf einen Profivertrag beim Westberliner Zweitligisten Blau-Weiß 90.

Daß mangelnde sportliche Leistung nicht notgedrungen mit fehlender Attraktivität einhergeht, belegt der zweite prominente Ostberliner Verein, der 1. FC Union. Im Sommer 1989 zum wiederholten Male aus der Oberliga in die Liga abgestiegen, besitzt „Eisern Union“ mit über 70 Fanclubs die weitaus größte Anhängerschar im DDR-Fußball. Auf lautstarken Rückhalt kann der DDR-Zweitligist auch im Westen bauen. Hüben wie drüben hängen bei Heimspielen die Fahnen des Teams von jenseits der Mauer. „Ha, ho, he, Hertha BSC“, hallt es durch die Fußballarena an der Alten Försterei; „Eisern Union“, brüllen die Hertha-Frösche.

Diese grenzübergreifende Verwandtschaft treibt bislang skurrile Blüten: Im Oktober 1986 wurde ein Ostberliner Kneipier zu zwei Jahren Haft verdonnert, weil er zuvor eine gemeinsame Weihnachtsfeier für Herthaner und Unioner arrangiert hatte. Und noch immer soll die Stasi, obgleich in ihrem Bestand reduziert, nach 24 Union-Anhängern fahnden, die - unter falschem Namen - die Hertha-Mitgliedskarte besitzen. Ähnlichkeiten bestehen auch bei den Fans. Hier die schlagkräftigen Typen der „alten Dame Hertha“, dort die „Schlosserjungs“, die für Zoff sorgen, wenn „Eisern Union“ auf dem Spiel steht.

In der Liga Staffel A versucht es Union nun aufs neue, den Fahrstuhl zur Elite zu erobern. Stärkster Konkurrent auf dem Weg in die höchste Spielklasse der DDR dürfte dabei Vorwärts Frankfurt/Oder sein, die Elf der Volksarmee! Die übrigen Liga-Rivalen aus der Hauptstadt, KWO, Bergmann-Borsig sowie Rotation, dürften hingegen keine nennenswerte Rolle im Aufstiegsgerangel spielen. So harren denn alle dem langersehnten wahren Berliner Derby, das kommen wird - der Paarung Hertha BSC gegen 1. FC Union.

Jürgen Schulz