Major Companies und Independents

■ Alte Diskrepanzen und neue Modelle der Zusammenarbeit wurden auf dem „POP-KOMM.„-Kongreß in Düsseldorf diskutiert

Die Modestadt am Rhein war in den frühen Achtzigern das Symbol für neues deutsches Selbstbewußtsein in der Pop- und Rockmusik. Sie war zusammen mit Hamburg Hauptstadt der „neuen deutschen Welle“ mit den Kapellen Fehlfarben, DAF oder Syph. Wir sind eigenständig, hieß es, und wir machen deutsche Musik! Der Ausverkauf kam schnell, aber das verdeutlicht nur Mechanismen des Musikmarktes.

Ziel der vom Land Nordrhein-Westfalen, vom Rockbüro Wuppertal und der Stadt Düsseldorf veranstalteten „POP -KOMM.“ (Kommunikation über Popmusik) war die Diskussion von Markt- und Medienbedingungen für deutsche Rockmusik in Deutschland und international.

Vertreter großer und kleiner Plattenfirmen und -vertriebe, von Presse, Radio, TV, von Musikverlagen und anderen Sparten des Busineß hatten sich angesagt. Zusätzlich gab es die Möglichkeit, sich in einer kleinen Messehalle mit einem Stand zu präsentieren, wovon mehr die größeren Firmen Gebrauch machten, und es fanden ergänzende Konzerte eher unbekannter deutscher Bands statt, die damit mal vor Fachpublikum spielen konnten. Zwischen den Kategorien „Major“ oder „Independent“ wurde nicht unterschieden, obwohl sich im Laufe der Tagung gerade hier Diskrepanzen herausstellten.

Der deutsche Musikmarkt wird von fünf (!) Großkonzernen beherrscht, die zusammen in etwa gleichen Teilen über 60 Prozent des Umsatzes der Verkaufscharts und des Airplay ausmachen. Diese Riesen sind durchweg multinationale Konzerne, gewachsen durch internationale Konzentration auf dem Tonträgermarkt. Die BMG-Ariola vereint, als Unternehmen der Bertelsmann-Gruppe, Ariola, RCA, Arista und andere: Polygram ist ein Verriebszusammenschluß der Polydor, Metronom und Phonogram; EMI-Electrola ist Filiale des englischen Konzerns; WEA und Teldec gehören zum US -Kommunikatonsimperium Warner; CBS kommt aus den USA und wurde letztes Jahr von Sony (Japan) aufgekauft. Die restlichen Marktanteile teilen sich mittlere Untenehmen und die sogenannten Independents, wobei der Marktanteil letzterer bei etwa 10 Prozent liegt.

So ist es nicht verwunderlich, daß auch die Indies Zusammenschlüsse im Vertriebssystem bilden, um sich überhaupt am Markt behaupten zu können. Die Firmen SPV und EFA übernehmen beispielsweise zentral die nationale Produktverteilung für jeweils über hundert Labels, die dadurch von einem ungeheuren Kosten- und Personalaufwand entlastet sind und sich besser um ihre Bands kümmern können. EFA und SPV sind inzwischen selbst zu mittelständischen Unternehmen angewachsen und nehmen mittlerweile keine neuen Label mehr in den Vertrieb auf, um nicht zu Großkonzernen anzuwachsen, deren hoher Kosten- und Personalaufwand nur noch Produkte mit fünfstelligen Verkaufszahlen lukrativ macht. Sie wollen den Kontakt zu ihren Labels behalten und diesen Freiheit in der Veröffentlichungspolitik lassen.

Anders als die großen Konzerne, die sich mit riesigem finanziellem Aufwand um den Verkauf von ihren oft zentral bestimmten internationalen Top-Acts kümmern müssen, können sich die kleinen Firmen um den Aufbau neuer MusikerInnen bemühen, weil sie von vornherein mit kleineren Stückzahlen kalkulieren - allerdings haben sie Probleme, selbst diese effektiv zu vermarkten.

Das wirft die Frage nach der Konkurrenz auf. Die Indies haben es seit Ende der Siebziger geschafft, einen Parallel oder Gegenmarkt mit eigener Struktur zu etablieren, die bis hin zu speziellen Händlern reicht. Eine Band, die auf diesem Markt einigermaßen gut verkauft hat, könnte zum Beispiel nach einem Wechsel zu einem Major in ein Vakuum fallen, weil die großen Firmen oft die kleinen Läden nicht erreichen und auch oft nicht in der Lage sind, solch eine Band anders zu etablieren. Sie verschwindet quasi vom Indie-Markt und bekommt keinen neuen. Damit ist sie aus dem Rennen. Das ist für Band und Firma gleichermaßen fatal, es sei denn, die Majors betrieben dies mit Kalkül, um Konkurrenz vom Markt zu holen (was natürlich bestritten wurde).

So kann es für MusikerInnen nicht immer von Vorteil sein, ins Repertoire einer großen Plattenfirma zu gelangen. Von den Majors gibt es mittlerweile selbst Vorschläge zu einer sinnvollen Kooperation mit den Independent-Firmen, um sich Marktflächen nicht gegenseitig wegzunehmen. Tim Renner von der Polydor propagiert ein Konzept von majorfinanzierten Indies. Großkonzerne sollten den Kleinen nicht die Acts abkaufen, sondern sich finanziell an Produktion und Vermarktung beteiligen, gegen Optionen, als Förderer und Mitverdiener im Hintergrund.

Die Kleinlabel fürchten Abhängigkeit. Ein ähnliches Konzept betreiben schon die größeren Indie-Vertriebe, indem sie die durch sie vertretenen Label durch Vorschüsse oder Übernahme von Preßkosten unterstützen. Insgesamt zeichnet sich zwischen den Parteien ein Prinzip der friedlichen Koexistenz ab, weil die Konzerne sehen, daß sie bestimmte „Minderheitenmusik“ nicht glaubwürdig und effektiv vertreten können, und die Kleinlabel und -vertriebe große, sprich sechsstellige Verkäufe lieber den Majors überlassen, weil sie diese nicht handhaben können.

Fast alle, das zeigte die POP-KOMM., sehen sich durch die Vielzahl der Neuveröffentlichungen überfordert. Auch der ehemalige Independent-Anspruch, neue interessante Musik einem Publikum zugänglich zu machen, ist einem stöhnenden „genug“ gewichen. Die Kapazitäten sind erschöpft. Es zeigt sich am Tonträgermarkt, daß immer mehr Produkte immer geringere Absatzzahlen haben. Ähnlich wie immer mehr Rundfunkkanäle immer geringere Reichweiten erzielen. Die Indies sollten sich weitere Marktanteile erobern trotz aller Koexistenzgedanken. Kapazitäten und Ressourcen können freigesetzt werden, indem sie woanders abgegraben werden. Wer braucht Millionenseller? Es kann nie genug Musik veröffentlicht werden.

Michael Ballauff