Fragen an die Deutschen

Über antipolnische Ressentiments  ■ G A S T K O M M E N T A R

Wir durchleben eine seltsame Zeit. Ganz Europa hat sich auf einen Weg ungewöhnlicher Veränderungen begeben. Die Frage der deutschen Wiedervereinigung ist wiederbelebt worden. Die 'Gazeta Wyborcza‘ war die erste polnische Zeitung, die offen über das Recht der Deutschen, in einem eigenen Staat zu leben, geschrieben hat. Darüber, daß die deutsche Wiedervereinigung vor allem eine Sache der Deutschen selbst ist. In unseren Spalten wurde von Anfang an das Honeckerregime kritisiert und die deutschen Aspirationen für ein Leben in Freiheit und Wahrheit unterstützt, die die Mitglieder der demokratischen Opposition der DDR artikulierten. Wir waren der Ansicht - wie die polnischen Bischöfe in dem berühmten Brief von 1965 -, daß die Erinnerung an den Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen und die nationalsozialistischen Grausamkeiten nicht bedeuten dürfen, daß man die Deutschen auf ewige Zeiten an den Pranger stellen darf.

Das gibt uns heute das moralische Recht, an die demokratischen Kräfte der DDR einige öffentlichen Fragen zu richten.

Warum schweigt Ihr und distanziert Euch nicht von den in der Presse, dem Fernsehen und im Alltag gegen Polen gerichteten Haßbekundungen? Jeder in Polen erwartet, daß Ihr Eure Überzeugung von der Dauerhaftigkeit und Unantastbarkeit der polnisch-deutschen Grenze an Oder und Neiße erklärt. Ihr habt ein Recht auf Euren demokratischen Staat und wir ein Recht auf sichere Grenzen. Wie sollen wir uns da Euer Zögern erklären?

Die polnisch-deutschen Beziehungen haben für die Zukunft Europas eine Schlüsselbedeutung, daher schadet die derzeitige Explosion antipolnischer Phobien unter den Deutschen nicht nur Polen. Sie schaden auch der demokratischen Ordnung und - so glauben wir - dem richtig verstandenen deutschen nationalen Interesse. Wir sprechen heute davon, weil es jetzt noch nicht zu spät ist: Feindschaft schafft Feindschaft. Der deutsche Nationalismus erzeugt in Polen Reaktionen und Emotionen, die ebenfalls zu nichts Gutem führen werden.

Schließlich hängt es jetzt von uns selbst ab, ob Feindschaft oder Versöhnung unsere Zukunft bestimmt.

Adam Michnik aus 'Gazeta Wyborcza‘