: „Lynchen kann nicht im Interesse des gesamten Europa sein“
Der Sekretär im ZK der KPTsch, Hegenbart, gilt als „früher“ Reformer in seiner Partei / Hoffnung auf gesunden Menschenverstand ■ I N T E R V I E W
taz: Herr Hegenbart, Sie waren einer der ersten, der sich im Sommer dieses Jahres an prominenter Stelle, in der sowjetischen Regierungszeitung 'Iswestija‘, über die düsteren Aussichten der Tschechoslowakei zu Wort meldete, sollte sie nicht endlich auf politische Reformen einschwenken. Warum haben Sie sich so weit aus dem Fenster gelehnt und trotzdem Ihren Posten behalten?
Hegenbart: Das haben wir aus unserer eigenen Erkenntnis getan. Der Prozeß der Demokratisierung hinkte der Notwendigkeit der Veränderung hinterher. In beiden Landesteilen spürte man die Unzufriedenheit der Bevölkerung deutlich. Wirtschaftliche können eben nicht ohne politische Reformen vollzogen werden. Die Leute haben gesehen, ständig wird von Perestroika geredet, aber konkrete Schritte bleiben aus. Deshalb haben wir es für unumgänglich gehalten, endlich auf diese Unzufriedenheit hinzuweisen. Schaden genommen habe ich wegen des Interviews nicht. Außerdem war es auch nicht mein erster Vorstoß, etwas Unpopuläres zu thematisieren. Uns war klar, daß die Philosophie des Umbaus von den KP -Vertretern begriffen werden muß, und unsere Führung hatte das einfach nicht getan.
In der KPTsch regt sich momentan einiges. An allen Ecken und Enden entstehen innerparteiliche Plattformen, so wie z.B. das „Demokratische Forum“ oder der „Prager Dialog“. Andererseits - wie sich bei der Regierungsbildung zeigte gibt es noch einen starken orthodoxen Einfluß. Steht die Partei vor einer Spaltung?
Das läßt sich schwer vorhersehen. Ich denke, das vorgelegte Aktionsprogramm könnte ein Faktor werden, der die Einheit der Partei festigt. Selbst wenn ein demokratisches Forum entsteht, zeigt es, wir haben eben doch noch ein intellektuelles Potential, ohne das keine Partei auskommt.
Sie sprechen vom Aktionsprogramm, das in der Tat ungewohnte, neue und liberale Töne anschlägt. Glauben Sie ernsthaft, dieses Programm könnte binnen kurzem von allen Parteimitgliedern als allgemein verbindliche Handlungsgrundlage akzeptiert werden?
Nun, das ist erst ein Entwurf. Fachleute werden ihn noch weiter ausarbeiten. Egal, ob in der Stadt oder auf dem Land, die Leute sind mit einer neuen Realität konfrontiert und sie begreifen das auch. Aus dieser Situation muß jeder seine eigene Plattform entwickeln, die sich dann dem Aktionsprogramm annähern muß. Am kommenden Wochenende finden Bezirkskonferenzen statt und wahrscheinlich werden auf allen Ebenen auch die Kader ausgewechselt. Neue Strukturen müssen geschaffen werden, die auf einer gänzlich anderen philosophischen Grundlage fußen werden. Das heißt Ende des Dogmatismus.
Wie steht es um die Glaubwürdigkeit Ihrer Partei in der Öffentlichkeit? Glauben Sie nicht, Ihre Landsleute sind bereit, die Partei durch einen Generalstreik in die Knie zu zwingen, wenn am kommenden Sonntag keine für die Opposition akzeptable Regierung präsentiert wird?
Ich denke, in diesen Tagen werden wir ein vernünftiges Einverständnis erzielen. Wir müssen anfangen zu arbeiten und der Glaube der Bevölkerung an die Personen an der Spitze sollte wieder größer werden. Natürlich kann man schwer voraussehen, wieweit die anderen Gruppen den Kampf führen wollen. Ein gegenseitiges Lynchen kann nicht im Interesse des gesamten Europas sein. Gegenseitiges Vertrauen ist unumgänglich, dazu gehört eine umfassende öffentliche Kontrolle.
Sie sprachen von Lynchen. Ich hatte den Eindruck, die Leute auf der Straße verhalten sich außerordentlich diszipliniert und verlangen keineswegs nach Vergeltung. Was ist andererseits an der Behauptung richtig, am Wochenende seien Truppen um Prag zusammengezogen worden, um einzugreifen?
Ich glaube, das ist nicht wahr, jedenfalls nach unserer Erkenntnis. Wir sind gestern der Frage eines Studenten nachgegangen und haben festgestellt, daß die Soldaten ihrem normalen Tagesablauf in den Kasernen folgten. Ich glaube, die Armee war nicht hier. Es wäre auch nicht der Zeitpunkt, den Konflikt mit Gewalt zu lösen, in einer zivilisierten Welt.
Aber es gab doch Leute in der Partei, die zu einer gewaltsamen Lösung neigten?
Nicht nur in der Partei treten Gruppen auf, die eine Konfrontation suchen. Auch bei Kräften der Opposition gibt es solche Bestrebungen. Entscheidend ist, daß auf beiden Seiten der gesunde Menschenverstand siegt. Und was den neuen Verteidigungsminister betrifft, Vacka. Ich glaube nicht, daß er eine Konfrontation sucht. Vielmehr habe ich den Eindruck, er hegt positive Ansichten über eine Demokratisierung.
Welche Strategie werden Sie bei den nächsten Wahlen verfolgen. Und wird sich die Partei der Karrieristen und orthodoxen Kräfte noch vorher entledigen?
Zunächst arbeitet die Leitung der Partei sehr genau an der Analyse unserer Politik der letzten Zeit. Dabei wird sie sich sehr klar von den alten Leuten trennen, die unsere Gesellschaft in die Krise getrieben haben. Das wird schon in naher Zukunft passieren. Die Vergangenheit wird eindeutig abgelehnt und die Praktiken der leitenden Persönlichkeiten verurteilt. Einen Weg zurück gibt es auch für uns nicht mehr. Mit solchen Leuten können wir nicht mehr gemeinsam arbeiten.
Wird die Entwicklung der KPTsch langfristig auf eine Sozialdemokratisierung wie in Ungarn hinauslaufen?
Diese Frage würde ich gerne der Parteileitung überlassen.
Aber Sie haben doch sicherlich eine eigene Meinung dazu. Verträgt sich diese Trennung zwischen Parteimeinung und persönlicher Meinung mit den neuen Grundsätzen?
Ich muß dazwischen sagen, ich gehöre nicht der Leitung an und daher kann ich auch nicht für sie sprechen. Meiner Meinung nach gibt es aber keinen anderen Weg, als den, der europäischen Entwicklung zu folgen.
Wie stehen Sie und die Partei zu den Reformern von '68, die sich in der Gruppe „Obroda“ zusammengeschlossen haben?
Bei „Obroda“ sammelt sich eine Reihe hochgebildeter, erfahrener Menschen, mit denen es notwendig ist, zusammenzuarbeiten und nicht nur einen Dialog zu führen, sondern eng zusammenzuarbeiten. Ob es dabei nun um eine neuzubildende sozialdemokratische Partei geht oder andere neue Strukturen.
Haben Sie persönlich Kontakte?
Ja, ich habe selbst mit ihnen verhandelt.
Wie stehen Sie als Kommunist zur Opposition?
Wir müssen sie als Fakt nehmen, haben darauf zu reagieren und sollten mit allen diskutieren. Unsere Plattform sollte aber auf allen Stufen gleichberechtigt sein. Manche Anzeichen deuten nicht darauf hin. Das mag aber nur kurzfristig oder aber auch ein Mißverständnis sein und die Zeit wird das klären.
Das Gespräch führte Klaus-Helge Donath
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