Die alte taz-Frechheit-betr.: "Sternstunde des Fernsehens", taz vom 25.11.89

betr.: „Sternstunde des Fernsehens“, taz vom 25.11.89

Ja, so ist das mit den „Sternstunden“, die eine zieht die andere nach sich, und so gelang es Vera Gaserow, aus der „Sternstunde des Fernsehens“ eine ebensolche des politischen Kommentars zu machen. Da war sie wieder, kometenhaft blitzte sie auf und hob sich wohltuend ab von dem ansonsten in dieser Rubrik vorherrschenden staatsmännischen Gebaren: die alte taz-Frechheit.

Die taz ist aus den Flegeljahren gekommen, was dem Informationsgehalt der Zeitung merklich zugute gekommen ist. Doch scheint mir der weltumspannende Überblick des ausgewachsenen Geistes eines tief verschüttet zu haben. Wo ist sie geblieben, die Stimme derer, die sich an nichts gewöhnt haben? Verschwunden ist sie, gewichen der gesetzten Analyse dessen, der seinen Platz gefunden hat, der im gepolsterten Schreibtischstuhl zurückgelehnt die Welt mit seiner Weisheit beglückt.

Wer außer Vera Gaserow wagte es noch, die Worte „Bundeskanzler“ und „Freßsucht“ in einem Atemzug zu nennen? Natürlich ist das nicht besonders sachlich, aber es vermittelt das angenehme Gefühl, daß diejenige, die so etwas schreibt, sich einen eigenen Zugang, eine ganz persönliche Betroffenheit bewahrt hat über alle notwendige Rationalität der Analyse. Wieso soll man auch nicht deutlich machen, daß man sich neben all dem, was die Vernunft an Falschem in dessen Politik erkennt, auch persönlich im ästhetischen Empfinden beleidigt fühlt von dieser fleischgewordenen Selbstgefälligkeit?

Weshalb sollte man nicht auch deutlich machen, daß einem die Ignoranz dessen auch auf die ganz persönlichen Nerven geht?

Daß auch mit diesen Aspekten, die dem/der LeserIn klarmachen, daß er/sie hier keiner Computeranalyse gegenübersitzt, eine deutliche und differenzierte Aussage möglich ist, hat Vera Gaserow deutlich gemacht. Abstand ermöglicht Überblick; aber nachdem man diesen erlangt hat, kann es durchaus sinnvoll sein, den Blick auf die Feinheiten zu senken, weil diese oft plakativ machen, was in der Gesamtheit doch arg abstrakt erscheint.

Mit Verlaub: Wie hätte denn wohl ein taz-Interview mit Egon Krenz ausgesehen? Wäre es nicht in genau der abstrakten Sachlichkeit verschwommen, die Vera Gaserow aufs Korn zu nehmen versucht? Ob amerikanischer Interview-Stil sinnvoll ist in einem Gespräch, in dem auch noch die eine oder andere Information rüberkommen soll, darüber läßt sich sicherlich streiten, denn auf die Füße treten und an die Wand spielen ist noch kein Journalismus, und die Arroganz dessen, der den Vorteil hat, betrachten zu dürfen und nicht handeln zu müssen, schimmert unweigerlich durch.

Dieser Schimmer ist im Kommentar, der die Möglichkeit hat, Entscheidendes durch Überspitzung deutlich zu machen, sehr viel besser aufgehoben. So betrachtet enthält Vera Gaserows Kommentar eine gehörige Portion (unfreiwillige?) Selbstkritik. Sollte die Wirkung zeigen, können wir taz -LeserInnen uns freuen, daß das, was uns heute noch als Sternstunde erscheint, bald wieder zur Tugend kritischen Journalismus‘ wird, denn ein Stern allein macht noch keinen Abendhimmel, über dem doch irgendwann einmal auch die Sonne wieder aufgehen soll.

Carsten Behle, Hamburg 65