Widersprüchlich, aber nicht hoffnungslos

■ Auf dem fünften Europäischen Forum sozialistischer Feministinnen berichten Frauen aus der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Ländern über Schwierigkeiten, aber auch Erfolge in feministischer Politik und Forschung / Eher Aufbruchstimmung als Resignation

Es ist merkwürdig, beflügelt vom fünften uropäischen Forum sozialistischer Feministinnen (24. bis 26.11.) aus Göteborg zurückzukommen, auf der west- und osteuropäische Feministinnen drei Tage lang miteinander diskutiert haben; auf der deutlich geworden ist, wie groß - bei allen Unterschieden der Gesellschaften - die Gemeinsamkeiten in den Geschlechterverhältnissen sind, und wie wir uns jetzt gegenseitig in der Arbeit für deren Umgestaltung stärken können.

Es ist also merkwürdig, dies alles noch vor Augen zu haben und dann in der taz vom 24.11. den Bericht über eine Diskussionsveranstaltung mit drei Frauen aus der Sowjetunion zu finden, der mit der Schlagzeile „Keine Hoffnung für Lenins Enkelinnen“ überschrieben ist. Der Artikel liest sich so sehr als Gegenrealität zu meiner Erfahrung, daß es mir notwendig erscheint, diese darzustellen. So heißt es darin, daß Olga Woronina eine der Frauen war, die in West-Berlin nur Hoffnungslosigkeit verkörperte. Dagegen erzählten in Göteborg die russischen Soziologinnen Natascha Zakkarova und Anastasia Posadskaya, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen an der Akademie der Wissenschaften in Moskau, und Valentina Konstantinova vom Institut für Gesellschaftswissenschaften (ebenfalls Moskau), daß Olga Woronina die Vierte im Bunde der autonomen Gruppe „Lotos“ sei, mit der die Frauen begonnen haben, Frauenforschung in der UdSSR zu entwerfen.

Sie berichteten mit viel Begeisterung, obwohl auch sie sehr deutlich machten, welch große Probleme zu lösen seien. „Aber“, sagte Anastasia Posadskaya, „die Situation ist widersprüchlich. Glasnost und Perestroika haben es für uns erst erlaubt, die institutionellen Möglichkeiten zum Beispiel der Akademie zu nutzen, um die Probleme zu analysieren und zu veröffentlichen. Als Nicht-Parteimitglied hätte ich vorher niemals die Chance gehabt, an der Akademie zu arbeiten.“ Skeptisch beurteilten die Frauen auch die Erfolge auf der institutionalisierten politischen Ebene. So hat z.B. das Komitee der Sowjetfrauen einen Frauenausschuß im Ministerrat durchgesetzt, der mitbestimmende Rechte hat. Aber die „Lotos„-Frauen sehen sehr klar, daß die Frauen in den politischen Institutionen noch nicht in der Lage sein können, sich widerständig in den festgeklopften patriarchalischen Strukturen zu bewegen und sie feministisch zu durchkreuzen. Deshalb arbeiten die Wissenschaftlerinnen zum Beispiel an Schulungsprogrammen für Frauen, die in den politischen Institutionen tätig sind.

Auch die Beiträge von Ewa Gontararczyk-Wesoka aus Polen und Maria Lada aus Ungarn waren gekennzeichnet von der Widersprüchlichkeit der Situation, nicht aber von Hoffnungslosigkeit. Alle Frauen konnten von Ansätzen feministischer Bewegung berichten. So war mit Yolanta Polakwicz die Vertreterin einer feministischen Gruppe aus Warschau anwesend, die immerhin aus ca. 20 Frauen besteht. Wie Yolanta berichtete, arbeitet die Gruppe an einer Aktion, mit der sie ein Referendum durchsetzen wollen zur Abtreibungsfrage, die in Polen eine zentrale politische Brisanz hat. Auch hier kein unrealistischer Optimismus; vielmehr wurde klar benannt, wie schwierig es ist, das konservative, von der katholischen Kirche stark beeinflußte Bewußtsein der Frauen ins Wanken zu bringen. Trotzdem auch hier eher Aufbruchstimmung als Resignation.

Angesichts einer westeuropäischen Linken, die sich eher irritiert als handlungsfähig zeigt im Hinblick auf die Entwicklungen in Osteuropa und keine gemeinsamen Strukturen hat, erweist sich das Europäische Forum sozialistischer Feministinnen als Ort, an dem die neuen Entwicklungen analysiert und nach vorne gebracht werden können. 1985 tagte die Konferenz das erste Mal in Kopenhagen - initiiert von einer Frauengruppe aus Kopenhagen und den Frauen um die Frauenredaktion der Zeitschrift 'Das Argument‘. Die Idee war, unabhängig von Organisationen Strukturen zu schaffen, in denen die Frauenbewegungen der europäischen Länder sowohl theoretisch an der Frage arbeiten, wie Geschlechter- und Produktionsverhältnisse sich gegenseitig stützen und wo die gemeinsamen Druckpunkte sind, an denen feministische Wissenschaft ansetzen könnte. Es geht aber auch darum, die Erfahrungen aus den politischen Kämpfen auszutauschen und transnationale Politikformen zu entwickeln. Die Konferenz hat seitdem jedes Jahr stattgefunden, immer in einem anderen Land - und sie hat ihren Bewegungscharakter erhalten.

In diesem Jahr richteten Schwedinnen für ca. 150 Teilnehmerinnen die Konferenz in einer feministischen Frauenschule in Göteborg aus. Zentrales Thema war die Frage nach feministischen Strategien und Perspektiven angesichts der Umstrukturierungen von Arbeit und Ökonomie. Ein sehr großes Thema. Die verschiedenen Beiträge setzten mit unterschiedlichen theoretischen Rahmen an unterschiedlichen Problembereichen an. So blieb es eher bei einem Austausch, als daß intensiv an einer zugespitzten Fragestellung diskutiert wurde. Dies wurde am Ende auch kritisiert und der Vorschlag gemacht, künftig wieder von einer genauer umrissenen Fragestellung auszugehen, die perspektivisch ist und Vorschläge für Politik enthält.

Jutta Meyer Siebert

Wer weitere Informationen über das 5.Forum will und/oder an den Ergebnisberichten der vorausgegangenen Konferenzen (in englischer Sprache) interessiert ist, wende sich an: Jutta Meyer-Siebert, Kollenrodtstr.56, 3000 Hannover 1.