: Kulturelle Wiedervereinigung
■ DDR-Kulturminister und Westberliner Senatorin vereinbarten Zusammenarbeit
Vorgeprescht war zunächst DDR-Kulturminister Dietmar Keller. Am Montag hatte er im Rahmen der Vorstellung seiner neuen Kulturpolitik für die DDR auch neue grenzüberschreitende Kulturverkehrsregeln vorgeschlagen: Unter anderem könne er sich eine gemeinsame Ausstellungs-GmbH, gemeinsame Film- und Theaterwochen und die gegenseitige Einrichtung von Kulturzentren vorstellen - der Westen kann gar nicht so schnell schalten wie da im Osten kulturgekuppelt und wiedervereinigt wird.
Jetzt haben sich Keller und die West-Kultursenatorin Anke Martiny getroffen: Prompt müssen sich die Berlinale -Kartenverkäufer im Februar nicht mehr vor Ost-Cineasten -Horden fürchten, denn die sollen - gemäß dieser neuen Strategie der Vorort-Versorgung - jetzt wieder in vertrauter Umgebung schlangestehen und möglichst auch auf heimischen Kinopolstern Westfilme absitzen. Die dazugehörigen Stars könnte man dann, so Martiny, auch kurzfristig rüberschaffen, als flankierende ambulante Maßnahme quasi.
Fein fügt sich der Kellersche Kulturrausch auch in Sachen Philharmonie. Schon lange suchte man im Westen erfolglos nach geeigneten Ausweichquartieren für die Asbestarena. Daß die betroffenen Orchester 1991 rübergehen, bringt dem Osten die Philharmoniker, das Radio-Symphonie-Orchester und das Symphonische Orchester in Schauspielhaus, Staatsoper und Komische Oper und den Westen aus der Verlegenheit. Nur das mit den Karten, an die der Ostler somit leichter kommt, das ärgert den neidischen Westler dann doch, denn „Zugangsregelungen“ wie sie sich Martiny - analog den beliebten Zuzugsregelungen - für die West-Theaterbesuche von Ostlern vorstellt, wird es dort wohl kaum geben. Überhaupt: Jetzt gingen ja wohl alle Ostler im Westen ins Theater und drüben wären die Theater dann leer, meinte Martiny vorauszuahnen. Deshalb soll der Bund bis zu 50 Millionen Westmark für die Verluste wegen Kartenerwerb gegen DDR-Mark zuzahlen. Dabei müßten die Ausgleichsmillionen aus Bonn viel eher nach Ost-Berlin fließen. Denn Westler werden scharenweise für Dreimarksiebenundzwanzig ins noch höher als hier subventionierte und ohnehin oft spannendere Ost-Theater wollen, wo dann die DDR-volksfinanzierte Kultur billig ausverkauft wird, es sei denn, Westler müßten im Osten die im sonst Westen üblichen Eintrittspreise zahlen - in Devisen versteht sich. Schließlich befürchtet Keller bestimmt nicht umsonst, gewachsene Strukturen der DDR-Kultur könnten durch die größere Organisations- und Finanzkraft westlicher Veranstalter geschädigt werden.
Überhaupt: Welche tiefgreifenden Konsequenzen die Verabredungen von Keller und Martiny - einmal abgesehen von diesen vergleichsweise banalen Problemen - haben werden, füllte Seiten und nicht Spalten. Was bedeutet es, wenn man sich darüber einig ist, daß man sich nicht mit Geld übertrumpfen will, etwa für solche finanzkräftigen Mega -Projekte wie das Deutsche Historische Museum, das die ganze DDR leerkaufen könnte und müßte, würde es Sammeln wie verabredet? Was bedeutet es wiederum für das DHM, wenn sich die Museumsdirektoren aus Ost- und West jetzt treffen und ihre Projekte künftig gemeinsam entwickeln oder zumindest miteinander absprechen. Was bedeutet es für die vielbeschworene dezentrale Kulturarbeit, wenn sich im Frühjahr der übergreifende Regionalausschuß für den Raum Berlin/Potsdam bildet? Was bedeutet es, wenn Keller mit diesem Vorschlag eine Idee konkret macht, die eigentlich aus Helmut Kohls Wiedervereinigungsprogramm stammt? Wie ist dann mit dem Widerspruch von begrüßenswerter städtischer und zu bekämpfender nationaler Wiedervereinigung umzugehen? Und schließlich: Was ist geschehen mit dem Verhältnis der DDR zur Geschichte und was muß geschehen im gemeinsamen Umgang damit, wenn plötzlich beide Berlins das Gestapo-Gelände inklusive Mauer gemeinsam gestalten wollen? Etc., etc., etc... (Siehe auch Bericht Seite 2)
Gabriele Riedle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen