Gipfel im Schatten der Mauer

EG-Regierungskonferenz zur Währungsunion 1990 / Ost-West-Turbulenzen Kohl erkennt Unantastbarkeit der Oder-Neiße-Grenze an / Sozialcharta verabschiedet  ■  Aus Straßburg Th.Scheuer

Zwar eröffnete Fran?ois Mitterrand am Freitag vormittag im Straßburger Kongreßzentrum als EG-Ratspräsident das Gipfeltreffen der Zwölfercombo; doch als Schlüsselfigur des zweitägigen Euro-Palavers wurde allseits Helmut Kohl gehandelt. Der verspätete sich leicht wegen des dichten Nebels über dem Rheintal; nebulös blieb bis zuletzt auch Bonns endgültige Haltung zur Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), dem Top-Thema der Straßburger Runde. Dann sprach sich gestern abend die EG mit elf gegen eine Stimme zur Einsetzung einer Regierungskonferenz aus, die einen neuen EG -Vertragstext über die WWU ausarbeiten soll.

Strikt gegen die WWU war wie immer Maggie Thatcher. Sie stimmte gegen die Regierungskonferenz. Aber natürlich werden die Briten daran teilnehmen und mitreden. Ebenfalls gegen Thatcher wurde die nicht rechtsverbindliche „Sozialcharta“ verabschiedet, womit dem Sozialismus nach Thatchers Ansicht freie Tür geöffnet ist.

Am Dienstag hatte ein Brief von Bundeskanzler Kohl an Präsident Mitterrand in Paris noch für ganz miese Laune gesorgt. Darin hatte Kohl als „Kompromiß“ vorgeschlagen, erst der übernächste Gipfel, der Ende 1990 in Italien steigt, solle die WWU-Regierungskonferenz einsetzen. Diese könne dann Anfang 1991 ihre Arbeit aufnehmen. Des Kanzlers kurze Weitsicht: Dann hätte seine Partei die Bundestagswahlen gerade hinter sich. Prompt wurde der Rückzieher in Paris als Bruch der vielzitierten deutsch -französischen Achse hochgespielt, während man in London aufatmete: Buhfrau Maggie würde nun nicht alleine in der Ecke stehen.

Kohls Zögern bei der WWU förderte nicht nur in Frankreich Ängste, die Umwälzungen in der DDR könnten die Einigungsenergie der Bundesdeutschen nun weg von der EG -Integration nach Osten umlenken. „Dem Kohl ist das deutsch -deutsche Hemd eben näher als das europäische“, maulte auch ein Brüsseler Berufseuropäer. Nachdem vormittags ein bißchen über den Binnenmarkt geplaudert wurde, wollte Mitterrand das heiße Eisen WWU eigentlich beim Mittagessen auf Schloß Rohan auftischen. Doch an der Tafel ging es dann doch wieder um „deutsch-deutsch“. Die Veränderungen im Osten, heißt es in einem Resolutionsentwurf, böten die Chance zur Überwindung der europäischen Teilung.

Am Nachmittag dann sagte Kohl in der Osteuropa-Debatte, „es kommt nicht in Frage, die Oder-Neiße-Linie zu verändern“. Offenbar hat Kohl - den vorliegenden Angaben zufolge - nicht die üblichen Vorbehalte geäußert, wonach die Frage endgültig in einem Friedensvertrag geregelt werden müsse.