Fast vom Lamm Gottes probiert

■ Im katholischen St. Johann wird dem Volk noch auf Maul und Herz geschaut

Es geht auf Weihnachten zu. Jesus, Grund all des beginnenden Einkaufsstresses, wird bald geboren werden.In den Kirchen wird über die Jesajas Weissagungen gepredigt, wonach ein Ros entspringen wird aus einer Wurzel zart, und Johannes der Täufer, heuschrecken-und wilden Honig schleckend, kündigt ihn auch an.

In St. Johann predigt der Jugendpfarrer. Spricht ungewöhnliche Strophen aus seinem violetten Ornat, Strophen, die Steve Wonder und Elton John gesungen haben. Über die Freundschaft, die wärmt. Die Strophen wurden gesungen für Leute, die Aids haben. Die Freundschaft, die sie wärmt, die habe Gott im Sinne gehabt, als er seinen eingeborenen Sohn gab. Nicht so ein Gott über den Wolken, sondern einer für unterhalb der niedrigen Zimmerdecken. Ein Gott, auf dessen Freundschaft auch die bauen könnten, die scheiterten, im Leben oder in ihren Berufen.

Der Pastor spricht nicht von den „Erniedrigten und Beladenen“ sondern von Scheiterern. Eine im Gegensatz zu den Erniedrigten und Beladeten moderne Spezies und eine heimliche. Die, die Angst haben, dazu zu gehören, gestehen diese Angst selbst beim fortgeschrittenen Wein oder Bier nicht gern. Angst, Zorn, Schmerz, kein ABM, kein Job, Frau weggelaufen, Schule öde, Probleme mit den Zonis, Mann gefühllos, über alles können wir reden und reden wir, aber scheitern, darüber lieber nicht.

Dieser Pfarrer redet davon. Und eine unter den vielen - St. Johann ist katholisch - KirchgängerInnen sehe ich weinen dabei. Eine Frau, eine junge.In manchem sind Katholens doch volkskirchlich begabter als die Bremen beherrschenden Protestanten. Ihre Hauptkirche ist zwar nur Gotik aus Beton, und die meisten Gläubigen können auch nicht singen. Aber neben mir sitzt einer, der riecht nach Knoblauch und schmettert die Songs mit Koloratur, auch, wenn er den Text nicht lesen kann. Und irgendwann reicht er mir auch die Hand herüber und der zur Rechten auch. Und wir schütteln uns die, und wünschen uns Frieden.

Auf diesen Momente warte ich immer sehnsüchtig-ängstlich, seitdem mir - in Italien - und die Steinalte neben mir ihr kontiges Händchen rüberstreckte und „Pace“ zwischen den zwei verbliebenen Zähnen sprach.

Und da ich schon ein bißchen wirr ins Schwärmen geraten bin: Wir haben zwar Pastorinnen, wenn wir welche haben, praktisch also sehr selten bis nie. Aber im katholischen St. Johann, da wird das biblische Wort außer von ihm auch von einer Frau vom Altar gelesen. Und da trinkt zwar der Pastor noch seinen Meßwein allein aus, aber die Abendmahls feier wird nicht so peinlich hinterher in irgendeiner dunklen Kryptaecke absolviert wie manchmal im Dom, sondern ist so selbstverständlich in den Ritus integriert, daß ich fast mitgelaufen wäre, ein bißchen vom Lamm Gottes probieren. Denn mal ehrlich, Leute, die sich eine so steve wonder-volle Vorstellung von der Freundschaft Gottes machen, die können doch selbst nicht so falsch drauf sein.

Uta Stolle