Swinging Metropolis

■ 55. Manoli

Schon ein eigen Ding, so 'ne Revue; eine Nummer straft die nächste Lügen. Geht's hier um dreiste Promiskuität, wird dort, gleich drauf, gesungen: „Ich will nicht Federn, will nicht Hermelin, / was ist mein ganzes Leben ohne ihn? / Dich nur will ich.“ Da wird dem Vater Rhein gehuldigt und dergleichen Deutschtümelei, zu Zeiten des Hitlerschen Putschversuchs tönt's von den Brettern: „Wär ich Diktator, faßt ich's richtig an, / schrieb an den Reichstag noch 'Manoli‘ dran.“ Zum richtigen Manoli-sein (worunter der Berliner „übergeschnappt“ versteht) gehört freilich auch, daß im gleichen Atemzug der Zeit Titel & Szenen wie „Sieg der Republik“ oder „Nie wieder Krieg“ zum Vortrag gelangen.

Manoli zum Zweiten; PleiteBerlin überglitzert die Inflation, als ob nix wäre, nicht nur in den Spielstätten superlativer AusstattungsSpektakel, nein, auch am Straßenrand schreit der große Widerspruch: „Berlin ist eine heroische Stadt. Noch im Sterben lächelt sie süßlich und will uns erzählen, daß es ihr vortrefflich gehe... Vor jedem Baum stehen drei Bettler. Von den Häuserwänden fällt der Kalk. Da tragen sie einen, der hat Hungerkrämpfe bekommen. Sieh in die Cafes, in die Restaurants, in die Dielen. Da fiedelt einer im Frack vor leeren Tischen, die Kellner drehen die schmierige Serviette in den Händen, die Gäste schauen erst auf die Speisekarte und dann in die Brieftasche und bestellen schließlich, den Hunger herunterschluckend, das billigste ungenießbare Zeug. Alle haben die Mäntel an, denn es wird nicht geheizt. Siehst du: das nennt man eine tote Stadt.

Aber nun, mein Freund, erhebe deine Augen zu den Dächern und den Häusergesimsen. Ja, da blinzelst du geblendet. Wie sich das ringelt, kreiselt, zackt, in rotem, blauem, grünem und violettem Licht:

Satyrin gibt Jugend und Kraft.

Raucht Manoli!

Vox-Platten sind die besten.

Hast du schon einen Aga-Wagen?

Da staunst du, das ist die neueste Erfindung: Lichtreklamen.“

So glossiert Heinz Pollack in der Weltbühne den heiteren Untergang. Desolaten Frohsinn verbreiten auch die berüchtigten Krawallschlager, Zerrspiegelbilder der grauslich schönen Zwanziger. Da drängt sich doch die Frage auf, wie schlimm es erst werden muß, bis sich die deutschen Schlagerschreiber wieder so schönen Nonsens einfallen lassen. Naja, vielleicht Stefan Remmler... oder die Allgemeine Verunsicherung ...ansatzweise. Der TV -Vierteiler „Radiofieber“ hat da ein gelungenes Stück - auch musikalischer - Atmosphäre rübergebracht, wenngleich die bearbeiteten Lieder zu glatt nach 1989 klangen. Trotzdem löblich, Bernhard Ettes Orchester noch mal ins alte Adlon zu stellen und die witzigen Versuche früher RundfunkÜbertragungen zu rekonstruieren. Jawoll, ihr Kritikaster alle, keine PseudoDokumentation, harsch an der Wahrheit, boten Märthesheimer/Fröhlich (Buch) & Dietrich Haugk (Regie), sondern einfallsreiches UnterhaltungsHandwerk mit vielen mehr oder minder offenen historischen Einlagen. Habt ihr nicht auch Ben Hur & Spartakus gern gelesen/gesehen?

Nun, die Ex-Spartakisten spielen auch eine Rolle. Intellektuell verschwiemelt mit politisierten DadaSauriern wie Heartfield & Grosz frönen sie eher anarchischer Lebensweise, wenn sie nicht beinharte KPler oder modische RelikteFicker wurden. So was Post-Dadaistisches gibt sich wenn auch parodistisch-gesellschaftsfähig, und Hans Wassmann bringt's auf die Bühne: „Eins zwei dreia - Quatsch mit Eia. / Eichenlaub und Mamelucke - / vivat Koks! Futsch ist die Spucke! / Lehmann Lady Lude Louis. / Oben hui und unten pfui. / Schnurrdiburri töff-töff-töff, / Malzkaffee mit Blöff-blöff-blöff. / Veni-vidi-vimm - / da haste den Klimbim!“ Noch ergreifender reimt Karl Valentin im „Expressionistischen Gesang“, was wohl daran liegt, daß Expressionismus eben ergreifend ist: „Kanapee glüht Meeresfreiheit / Lippen blau aus Abendrot / Stille Nacht in Marmelade / Edle Kunst, behüt dich Gott.“

Mit soviel Literatur kommen natürlich dem August seine Haare, der zum Bahnhof gerollte Käse oder der Maier am Himalaya nicht mit. Dafür löst solcherlei Liedgut dringliche Fragen des täglichen Lebens, etwa die, warum auf einem Kaktus keine Pflaume wächst: „So etwas tut die Pflaume nicht, / denn sie hat Angst, daß sie sich sticht.“ Hermann Frey, der dem Volksmund schon vor Jahrzehnten zu trällern gab, mit „Schmackedutzchen“ & „Immer an der Wand lang“ will den QuatschErzeugnissen einen reinwürgen und setzt sich erneut mit Walter Kollo, dem Kumpel, zusammen. (Die beiden das ist eine Geschichte für sich.) Dabei entsteht „So lang die Hose nicht am Kronleuchter hängt“ sowie „Mein Papagei frißt keine harten Eier“.

Letzteres zeitigt dramatische Folgen, wie M.Pacher berichtet: „Da gibt es im feineren Haushalt einer alten Dame einen uralten Papagei, der dem Dienstboten (weiblich) vermutlich schon lange den Nerv getötet hat. Rache ist in diesem Fall nicht Blutwurst, sondern harte Eier, und der Papagei segnet daraufhin tatsächlich das Zeitliche. Die alte Dame kündigt der vorsätzlichen Mörderin fristlos, die wiederum zieht vor das Arbeitsgericht. Da der Richter aber nicht an Schlager glaubt, erklärt er die fristlose Entlassung für unzulässig. Wenn das keine Publicity ist...“

Norbert Tefelski