: Vereint gegen die Kohl-Plantage
■ Tausende von BerlinerInnen aus Ost und West zogen am Samstag gegen Wiedervereinigung über den Kudamm / Ein deutsch-deutsches Straßentheater-Ereignis / Spott über den Kanzler der „Bananenrepublik“ / „Wollt Ihr den totalen Konsum?“
Als die Zeiger der Uhr am Adenauerplatz auf 13Uhr vorrücken, wird es langsam hektisch. „Wo ist die Kiste mit unseren Wink -Elementen?“, ruft jemand aus der Menge. Kein Zweifel: Der „bösartig-satirische Umtrieb für ein unheilbares Deutschland“, den das Kreuzberger „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ am Samstag mit wie schon früher ungewöhnlichem Gespür für den Zeitgeist in der City auf die Beine stellte, ist Domäne der Gäste aus Ost-Berlin und der weiteren DDR. Anzüglich haben sie teilweise ihre Köpfe mit blauen Hundert -D-Mark-Scheinen umwickelt - die „Wink-Elemente“ sind dagegen die hier fast wertlosen roten Hunderter der Staatsbank von drüben, oder schlicht DDR-Fähnchen.
Rund zwei Dutzend TeilnehmerInnen einer „volkseigenen Aktion“ kommen von der Kunsthochschule in Weißensee, darunter auch die 20jährige Andrea Nolte. Bei einer Wiedervereinigung beider Deutschlands werde sicher „vom westlichen Kapital bestimmt, was in unserem Lande gebaut wird“, erklärt die Architekturstudentin ihr ganz persönliches Engagement. Außerdem würden „die ganzen sozialen Errungenschaften so ein bißchen unter den Tisch gekehrt“, und noch wichtiger: „Wir hätten eine Mitschuld an eben diesen ganzen Sachen wie der Ausbeutung der Dritten Welt und der Abholzung des tropischen Regenwaldes.“ Ähnlich plädiert auch Anja, 20, Studentin an der Humboldt -Universität, für eine sozialistische Alternative - „vor allem im ideellen Bereich natürlich, was humanistische Werte und sowas anbelangt“. Die Chancen eines solchen Weges? „Wenn die Franzosen und Engländer uns Kredite geben, sehe ich sie gut.“
Klar, wer der Star des Tages ist: Helmut Kohl. Und seine „gnadenlos gute Leistung“ vom 10.November wird auch per Band erneut dargeboten. Damals war Kohl vor dem Schöneberger Rathaus ob seiner bekannten Leerformeln glorios ausgepfiffen worden und mußte das Deutschlandlied fast alleine singen. Wenn auch nur als papierenes Double ist der verhöhnte Führer der „Bananenrepublik“ dafür heute zur Belohnung „Ehrengast“ an der Spitze des Zuges begleitet von „Helmut, Helmut„ -Rufen.
Weiter vorne in dem kilometerlangen Lindwurm auf der südlichen Fahrbahn des Kudamms ist eine Goldelse mit schwarz -rot-gold angepinseltem Balken über den Augen zu sehen, dahinter fröhliche Träger von überdimensionalen Papphamburgern und -bananen. „Die Bananen zwingen uns, wieder im Gleichschritt zu marschieren, erklärt ein Schild und ruft verzweifelt: „Wollt Ihr den totalen Konsum?“ Transparente wie „Die DDR ist keine Kohl-Plantage“ oder „Freiheit, Reichheit, Käuflichkeit“ unterstreichen zusätzlich das Anliegen einer souveränen DDR. Gesamteindruck (und Lob) des eifrig mit einer fast museumsreifen „Ariflex“ filmenden Kameramannes vom Adlershofer TV-Kulturmagazin: „Von der Form her kein großer Unterschied mehr zu unserer neuen Demo-Kultur.“
Ob die Anti-Wiedervereinigungsparolen an diesem zweiten verkaufsoffnen Adventssamstag annähernd der Befindlichkeit der an den Bürgersteigkanten stehengebliebenen Passanten entsprechen, ist schwer einzuschätzen. Viele schmunzeln, als sie den fortwährend winkenden „Kohl“ sehen. Andere verharren mit unbewegten Gesichtern im einsetzenden Schneegestöber.
Indes stößt der taz-Reporter zufällig auf den Abgeordneten und PS-Freak Ekkehard Wruck - und der macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Bewegten Wortes beklagt der CDU -Mann aus dem berüchtigten Linksflügel „Sowjetisch -Wilmersdorf“ eine bei manchen eingetretene „Verwirrung der Geister“. Und hebt fast zu einer kleinen Rede an: „Eine Zementierung der Mehrstaatlichkeit ist ein Widerspruch in sich selbst, widerspricht im Grunde genommen auch der deutschen Revolution von 1848, wo es gegen Kleinstaaterei und um mehr Freiheit gegangen ist“. Dagegen unterstellt der Westberliner Schauspieler Jockel Tschiersch dem Bundeskanzler auf der Abschlußkundgebung am Joachimsthaler Platz, mit seinem Zehn-Punkte-Programm eine kulturimperialistische „Video-Vereinigung“ anzustreben. Vielleicht könnte die Deutsche Bank die DDR „im Leasing -Verfahren übernehmen“, dann sei endlich das böse Wort vom Ausverkauf vom Tisch.
Als DGB-Chef Pagels spricht, verharren nach Polizeiangaben nur noch rund 500 ZuhörerInnen. Dabei waren den Veranstaltern - dem „Bündnis gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus“ und der Westberliner „Friedenskoordination“ zufolge vorher 20.000 Menschen „gegen Heuchelei und die Vereinnahmung der DDR“ über den Kudamm gezogen (die Polizei zählte 6.000 Menschen).
Der DGB unterstütze das Ziel, die Teilung Deutschland auf dem Wege einer möglichen Vertragsgemeinschaft zu überwinden, sagte Pagels. Dabei könne es allerdings nicht um eine „Wiedervereinigung“, sondern nur um eine für ganz Europa anstehende Neuordnung gehen. Gleichwohl erntete der DGB-Chef laute Buh-Rufe von den verbliebenen Antifas.
Thomas Knauf
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