Mit leisen Tönen zum großen Erfolg

Die bundesdeutschen Handballfrauen gewinnen Gold bei der B-Weltmeisterschaft durch ein 20:18 im Finale gegen Schweden / Die Arbeit des neuen Trainers Uli Weiler bringt das entscheidende Selbstbewußtsein  ■  Aus Dänemark Jochen Reinhardt

Randers (taz) - „Schnappen und schmeißen“ sollten sie erst mal lernen, bevor sie zu einer Weltmeisterschaft fahren, witzelte vor Jahren ein bekannter Männer-Trainer, als er sich mal zu einem Bundesliga-Spiel der Frauen verirrt hatte. Mittlerweile haben die bundesdeutschen Handballfrauen das Fangen und Werfen und noch einiges mehr so gut gelernt, daß die Männer des größten Handball-Verbandes der Welt ihnen einiges abschauen könnten.

Denn während die besten Männer im März in Frankreich so kläglich auftraten, daß sie sogar erstmals in die C-Gruppe, die internationale Drittklassigkeit abstiegen, lösten die Frauen beim WM-Qualifikationsturnier in Dänemark ihre Aufgabe mit einer nie für möglich gehaltenen Souveränität.

Sie schnappten und schmissen wohl auch zur Überraschung ihrer durchaus renommierten Gegnerinnen so gut und ließen sich auch in Streßsituationen nicht aus dem Konzept bringen, daß sie erstmals in ein B-WM-Finale einzogen: Dort gelang am Sonntag gegen Schweden ein 20:18, die Sensation war perfekt. Vor zwei Jahren noch hatte es nur zu Platz zehn gereicht, die Goldmedaille von Randers ist der größte Erfolg der Verbandsgeschichte.

Dabei hatte es im Endspiel schlecht begonnen. Nach zehn Minuten lagen die bundesdeutschen Frauen 1:5 zurück, noch bei Halbzeit stand es 7:8. Dann jedoch traf auch Leonte besser und erzielte allein die Hälfte aller Tore.

Fünf Jahre nach Los Angeles, von wo die Männer eine Silbermedaille mitbrachten, erlebt der seitdem arg geplagte Handball-Verband wieder ein Erfolgserlebnis. Wichtiger als die Goldmedaille: wenn in einem Jahr die besten 16 Frauenteams der Welt in Korea die Weltmeister ermitteln, sind die DHB-Frauen mit von der Partie. Die Männer hingegen müssen nachsitzen, frühestens 1993 können sie wieder im Konzert der Großen mitmischen.

Die Art und Weise, wie die vom Verband eher stiefmütterlich behandelten Frauen in Dänemark von Erfolg zu Erfolg eilten, brachte ihnen viel Anerkennung ein. Zu dem bekannt großen Kämpferherzen gesellte sich spielerische Kreativität, taktische Disziplin und eine Riesenkondition: Bundestrainer Uli Weiler ließ in allen Spielen die erste Sieben fast durchspielen, was bei einem derart strapaziösen Turnier nicht ohne Risiko ist. Aber der Erfolg gab dem 45jährigen, der zuvor drei Jahre als Handball-Entwicklungshelfer im Scheichtum Katar gearbeitet hatte, recht. „Jedes Tor mehr, was diese Spielerinnen erzielen, ist ein Beitrag für das Selbstvertrauen.“

Und an Selbstvertrauen mangelte es den Frauen in den vergangenen Jahren stets. Weilers Vorgänger Ekke Hoffmann, ein schwäbischer Mini-Macho, hatte auf Härte, Disziplin und Autorität gesetzt. So lange, bis ihm die gequälte Frauschaft vor zwei Jahren die Gefolgschaft verweigerte und ihn zum Rücktritt zwang.

Nachfolger Weiler bevorzugt die leiseren Töne. Vorbei die Zeit, als peinlich genau darauf geachtet wurde, ob alle die Bettruhe um 23 Uhr einhalten. Auch die Frage, ob Lesben in einer Nationalauswahl etwas zu suchen hätten - für Hoffmann ein heißes Eisen - stellt sich Weiler nicht. „Das Privatleben der Frauen interessiert mich nicht, bei mir entscheidet die Leistung.“

In diesem entspannten Klima mußte Weiler noch die schwere Aufgabe lösen, aus eigenwilligen, ja teilweise egozentrischen Spielerinnen eine harmonische Frauschaft zu formen. „Wenn ihr spielt, was ihr könnt, dann schlagt ihr jeden Gegner“, bläute er den Frauen ein. Besonders die Berlinerin Sabine Erbs scheint sich diesen Satz gut eingeprägt zu haben. Bis dato nie sonderlich in Erscheinung getreten, erwies sie sich in Dänemark als selbstbewußte und einfallsreiche Spielmacherin: Treibriemen für Weilers Ideen auf dem Spielfeld.

Die 140fache Nationalspielerin vom TSV GuthsMuths lobte Weiler in den höchsten Tönen: „Er hat aus den vielen Grüppchen der Vergangenheit ein echtes Team geschweißt.“ Und das ist im Handball eine wichtige Grundlage für den Erfolg, wenngleich in kaum einer anderen Sportart eine Einzelne so viel bewirken wie hier.

Selbst der Fall Leonte wirkte sich nicht negativ auf das Team aus. Kurz vor Beginn der Bundesliga-Saison, im September, war die vor drei Jahren aus Rumänien eingebürgerte Torjägerin Elena Leonte nach schweren Konflikten mit ihrem knallharten Trainer Jürgen Gerlach („Er ist ein Tyrann und hat mich tief in meiner Ehre gekränkt“) ausgestiegen. In anonymen Briefen, die Leontes Lebensgefährte verfaßt haben soll, wurden Gerlach und die Mitspielerinnen schwer beschimpft. Vorübergehend beschäftigte sich sogar die Justiz mit dem Fall.

Zeitweise schien Leontes Karriere beendet, doch in Dänemark war die von Insidern als kleine „Diva“ gefürchtete, dann plötzlich beste Werferin für den DHB. Wegen ihrer manchmal eigensinnigen Spielweise mußte sie sich aber auch viel Kritik anhören.

Die Macken ihrer Torjägerinnen steckten die deutschen Frauen auf Jütland locker weg. Im Match gegen die schnellen und technisch versierten Japanerinnen, das für die WM -Teilnahme entscheidend war, überfuhren sie diese mit 22:11. Uli Weiler, der kettenrauchende Trainer, hatte zuvor acht Stunden vor dem Video gehockt und aus Spielen Japans jeder Spielerin einen Videoclip zusammengeschnitten. Ähnlich detailliert bereitete er das Team auf alle Spiele vor, und die Deutsche Abwehr wurde zur besten des Turniers.

Für die WM 1990 könnte Weiler zusätzlich eingedeutschte Asse aus Osteuropa einsetzten. Drei Namen aus den mit derartigen Importen besonders erfolgreichen Klubs Lützellinden und Walle Bremen werden besonders hoch gehandelt, weitere können sich aus der politischen Entwicklung der nächsten Monate ergeben.

Doch zuerst einmal werden Sponsoren gesucht: der unerwartete Erfolg soll sich auch auszahlen.

BR Deutschland: Schieß (Allensbach), Seiffert (Leverkusen) Kennessey (Leverkusen), Jarosch (Lützellinden), Leonte (Gießen/10/3), Boueke (Lützellinden), Schmitt (Neckargartach/5), Erler (Leverkusen), Erbs (Berlin/3), Bötefür (Lützellinden/1), Orban (Bremen/1), Raabe (Leverkusen)