DDR-Bürger sind kein Experimentierfeld

■ Monika Maron in Bremen: Zweimal ein so tiefgreifendes Experiment an lebenden Personen dürfte nicht erlaubt sein ohne deren Zustimmung.

Monika Maron, Schriftstellerin aus Berlin-Ost, Autorin von „Flugasche„(1981 im Fischer Verlag urerschienen) und der „Überläuferin“ (1988), lebt mit einem 3-Jahres-Visum in Hamburg. Sie unterstützt die Demokratiewerdung in der DDR mit Tat (z.B. Kopiererimport) und Wort. In Bremen las sie nichts vor und nichts ab, sie sprach im kalten Überseemuseum frei und mit viel Wärme für ihre Landsleute und gegen die intellektuellen Sozialismus-Ideologieträger in Ost- und Westdeutschland. Ich gebe einige Passagen Maron-O-Ton wieder, fast wie sie vom Band kommen, aber, aus Platzgründen, ohne den Dialog mit dem Moderator Lothar Probst und dem Publikum. (Uta Stolle)

Monika Maron: Als die Mauer aufging, da saß ich in Hamburg vor dem Fernseher und traute meinen Augen nicht. Und dann fuhr ich nach Berlin, weil ich dachte, das kann ja nicht sein, daß das alles stattfindet, und ich bin

nicht da. Und - ich muß ja sagen, daß ich unheimlich gerührt war. Ich hab immer gedacht, die West-Berliner, warum freuen die sich so? Die durften ja schon immer raus, warum ist es deren Freude. Und dann standen die Leute da und tätschelten die Trabis, als wären's kleine Ponys. Unheimlich rührend. Und es war ja nicht nur in Berlin so. Überall standen die Leute und freuten sich wirklich. Hilfsbereitschaft und auch Gesten, die hätten peinlich sein können und waren's nicht. An der Mauer standen die Leute mit Sekt, aber sie hielten auch so Geldscheine hin. Das war so eine offene Geste. Das war nicht Zustecken. Das war ganz freundschaftlich. Weil sie wußten, die haben's nicht, und nun wollen sie alle ein Bier trinken gehen, und dazu braucht man 10 Mark.

Und dann begann diese große Diskussion in der Linken. Und da habe ich dann schon meine Schwierigkeiten. Das Wort Ein

heit, wenn das nur diesen Gruseleffekt hat und sofort das Wort Großdeutschland nach sich zieht, obwohl es ja gar nicht um Großdeutschland geht. Und man will es ja auch nicht gegen die Nachbarn, und man muß mit ihnen erstmal reden. Aber man kann doch erstmal sagen, daß man es ganz schön fände. Aber schon das ist offenbar was ganz Unerlaubtes in bestimmten Kreisen. Und dann fallen immer ganz hehre Argumente. Und unter dem hehren Argument finde ich ganz oft, daß sie es einfach nicht wollen. Die Leute gefallen ihnen auch gar nicht, und die sollen ja ganz rechts sein und dann eben: Bananen! Alles ganz lächerlich.

Aber daß man nicht vernünftig reden kann über die eine und die andere Variante und was die andere Variante für diese 16 Millionen bedeutet. Und dann stelle ich fest: Es ist denen eigentlich egal. Also, sie möchten, daß da ein Experimentierfeld erhalten bleibt.

Wobei ich denke, wären die DDR-Bürger Tiere, würde der Tierschutzverein eingreifen. Zweimal ein so tiefgreifendes Experiment an lebenden Personen dürfte ja eigentlich nicht erlaubt sein ohne deren Zustimmung. Wenn Kohl seine peinlichen Dinge sagt, das kann man öffentlich diskutieren. Wenn ich mit der Linken diskutiere, habe ich immer das Gefühl, und die haben ja auch das Gefühl: Sie haben sowieso politisch recht. Sie haben die bessere Moral. Und wer etwas dagegen sagt, ist eigentlich schon ein Nationalist oder ein Revanchist oder weiß der Himmel was.

Ich kann das gar nicht auf die linke Ecke eingrenzen. Ich treffe auf fast keine, die sagen, sie könnten sich mit dem Gedanken an eine deutsche Einheit so abfinden. Weil sie ja nun sehen, die Leute in der DDR wollen es. Es ist unter gar keinen Umständen ein sympathischer Gedanke. Und das kann ich eigentlich nicht verstehen.

Denn ich denke, daß aus der Ungleichzeitigkeit der Entwicklung der beiden Gesellschaften was ganz Interessantes entstehen könnte. Es könnten ganz andere Fragen hereingebracht werden, in diese Gesellschaft.

Hirni-Sozialismus

Ich wundere mich schon die ganze Zeit, was die Schriftsteller wie Christa Wolf und Stefan Heym da sagen in ihrem Appell „Unser Land“. Das ist ganz unkonkret. Es sind nur Wörter. Und ich wundere mich, wie man das Wort Sozialismus, das geschunden und mißbraucht wurde in diesem Land, so mir nichts dir nichts immer wieder sagen kann. Die Leute schreien jetzt, sie wollen Demokratie. Darunter kann man sich was vorstellen. Aber was Sozialismus in der DDR bedeuten soll, kann eigentlich gar keiner mehr wissen. Und wenn jetzt die Leute nach Vereinigung schreien, dann tun sie das aus gutem Grund.

Nämlich um aus der ökonomischen Misere rauszukommen und auch aus der Konzeptionslosigkeit und auch aus der Angst, ein nächstes Mal mißbraucht zu werden. Ich sehe überhaupt keine Chance für einen neuen Sozialismus, ich finde das auch ganz und gar sinnlos. Die DDR kann sich überhaupt nicht rappeln und erholen ohne eine große Menge westlichen Kapitals. Und die Möglichkeit, die DDR zum Billiglohnland zu machen, sehe ich bei einer Zweistaatlichkeit viel eher gegeben als bei einer anderen Lösung. Und wenn die oppositionellen Gruppen Sprecher bleiben wollen einer artikulierten Mehrheit, dann müssen sie sich auseinandersetzen damit, daß die Leute die Einheit wollen. Und akzeptieren, wie auch die Linken in der Bundesrepublik, daß Demokratie ein unteilbarer Begriff ist. D.h., dann muß man auch den Leuten in der DDR das Recht zuzugestehen, die Sache zu entscheiden.