Die Tage der Diktatur sind gezählt

■ Die Chilenen sehen mit Zuversicht dem Ergebnis der morgigen Wahl entgegen / Aus Santiago Gaby Weber

Nach 16 Jahren unumschränkter Herrschaft der Militärs werden in Chile am morgigen Donnerstag Wahlen abgehalten. Ein Sieg des Kandidaten des Oppositionsbündnisses „Concertacion Democratica“, des Christdemokraten Aylwin, gilt als sicher. Die Tage des Diktators Pinochets sind gezählt - zumindest als Präsident; der General bleibt als oberster Chef des Heeres in Amt und Würden.

Es war eher ein Volksfest als eine politische Veranstaltung, die Abschlußkundgebung des Oppositionsbündnisses „Concertation Democratica“. Bei strahlendem Sommerwetter und untermalt von Darbietungen der bekanntesten Künstler Chiles wurde am Sonntag im O‘ Higgins-Park von Santiago bereits der Sieg gefeiert, zwischen Würstchenverkäufern, Luftballons und Eisbuden. Alle Generationen waren angerückt, im Kinderwagen oder mit dem Krückstock. Ob es 500.000 oder 1,2 Millionen waren, weiß niemand, aber das ist auch nicht wichtig, Hauptsache, es waren viele. Mit Fahnen und Plakaten ließ man die Kandidaten der Opposition hochleben, Christdemokraten und auffallend viele Namen von sozialistischen Politikern. Auch Menschenrechtsgruppen, die KP Chiles und Mitglieder der „Bewegung der revolutionären Linken“, der MIR, waren mit ihren Spruchbändern („Freilassung aller politischen Gefangenen“) vertreten. Und immer wieder Parolen der „Frente Patriotico“ - entstanden als bewaffneter Arm der chilenischen KP - und mit Halstüchern verdeckte Gesichter.

Großen Beifall erntete nicht nur der gemeinsame Präsidentschaftskandidat der Opposition, Patricio Aylwin, sondern auch KP-Führer Volodia Teitelboim und die Witwe des 1973 während des blutigen Militärputsches ermordeten Präsidenten Salvador Allende, Hortensia Bussi. Die KP und die MIR unterstützen zwar den Christdemokraten Aylwin, haben aber zugleich eigene Listen für die Wahl der Senatoren und Abgeordneten aufgestellt. „Chile ist des Krieges und der Gewalt müde“, so der Kandidat vor seinem Wahlvolk. „Wir wollen eine große Familie sein und ein Land, das nicht mehr zwischen Freunden und Feinden geteilt ist.“

Auch wenn am Sonntag keine richtige Begeisterung aufkam man lachte und witzelte über die Polizei, die den Verkehr auf den verstopften Straßen regeln wollte. Kein Zweifel, die Chilenen sind erleichtert und zuversichtlich, denn die Tage der Diktatur sind gezählt. „Kein Übel hält hundert Jahre“, titelte die christdemokratische Zeitschrift 'hoy‘, und die Kollegen von 'Analisis‘ verabschiedeten den Diktator auf ihrem Cover schlicht mit dem Wort „chao“. Der Wahlsieg Aylwins gilt als sicher. Meinungsumfragen sagen ihm um die 56 Prozent voraus. Mit der absoluten Mehrheit wird eine zweite Wahlrunde, auf die die regimetreuen Parteien spekulieren, überflüssig. Da die Rechte gespalten ins Rennen zieht, kann der Christdemokrat Aylwin am Donnerstag auch mit einer Mehrheit im Senat und im Abgeordnetenhaus rechnen. Ob diese allerdings für grundlegende Reformen ausreicht, wird in Santiago bezweifelt (siehe Kasten).

Dieser Umstand erklärt, warum sich die Begeisterung in Grenzen hält. Nur 3,8 Prozent glauben nach einer Erhebung daran, daß eine neugewählte demokratische Regierung kurzfristig die Probleme lösen kann, 29 Prozent hoffen immerhin auf mittelfristige Resultate, während 16 Prozent fürchten, daß alles beim alten bleibt. Zwei Drittel der Chilenen haben kein oder wenig Interesse an Politik. Die Kommentatoren ergaben sich in den vergangenen Tagen in Interpretationen: Die einen lobten die „Reife des Volkes“, das sich „nicht mehr von Ideologen und Demagogen blenden“ lasse, andere warnten vor einem „dauerhaften Pessimismus“.

Aylwins Gegenspieler, dem 40jährigen Hernan Buchi, werden um die 22 Prozent der Stimmen prophezeit. Bis vor kurzem war er Finanzminister Pinochets; er gilt als Architekt des sogenannten „Wirtschaftswunders“. Von diesem Wunder haben allerdings nur wenige profitiert, die Mehrheit der Chilenen verdankt ihm die Verarmung. Die Parole seiner Werbetexter „Buchi es el hombre“ (Buchi ist der Mann) - wurde umgedichtet in „Buchi es el hambre“ (Buchi bedeutet Hunger). Diese „Mischung aus Guerilla-Held und Rockstar“ (so die 'New York Times‘) erfreut sich der Unterstützung der beiden wichtigsten regimetreuen Parteien, der „nationalen Erneuerung“ und der „unabhängigen demokratischen Union“. Doch trotz kostspieliger PR-Aktionen war der Pilzkopf nicht auf volksnah zu trimmen. Er trinkt und raucht nicht, ernährt sich von Yoghurt, joggt und ist der freien Rede nicht mächtig. Sein einziges vorzeigbares sympathisches Laster scheinen seine Frauengeschichten zu sein. Buchi vermittelt den Eindruck, als habe er einen Regenschirm verschluckt, steif, humorlos und damit unchilenisch. Seine Kampagne ist von strammem Antikommunismus geprägt: Aylwin sei zwar ein ehrenhafter Politiker, der den Putsch von 1973 begrüßt habe, so Buchi, aber leider sei er von Kommunisten umgeben. Fazit: Wer für Aylwin stimmt, wählt den Sozialismus und das Chaos.

Kandidat Nummer drei ist Francisco Javier Errazuriz. Genannt Fra-Fra - eine Mischung aus einem Wanderprediger und einem gutmütigen Patriarchen. Der 47jährige Unternehmer herrsche über 8.000 Angestellte und sei damit - so die Logik - befähigt, auch 13 Millionen Chilenen zu regieren. Er darf auf 13 Prozent der Stimmen hoffen. Unter seine Fittiche haben sich kleinere rechte Parteien wie die „Nationale Partei“ und die „Partei des Südens“ sowie viele unabhängige Konservative begeben, die bei Buchi, dem Mann des Großkapitals, keine politische Heimat fanden. Der rechte Populist („lieber Fra-Fra als Bla-Bla“) hat gleich mehrere Vorteile: einen Nachnamen mit Tradition, eine glänzende Rhetorik und das Image eines gemäßigten Politikers der Mitte. Er habe zwar beim Plebiszit im vergangenen Oktober mit „Ja“ (also für den Verbleib Pinochets an der Macht) gestimmt, aber „im Herzen mit Nein“. Buchi schmäht er als „Kronprinzen Pinochets“, und wenn der Aylwin mit seinen Marxisten im Schlepptau siege, würden die Militärs wieder putschen.

Errazuriz‘ Geheimwaffe sind seine Gattin „Toyita“ samt Kindern - „eine Art chilenische Trapp-Familie“, schreibt der konservative 'Mercurio‘. „Erinnerst du dich noch daran, als wir geheiratet haben. Ich besaß damals nur einen kleinen Fiat 600“, fragt er Frau Gemahlin vor 20.000 Anhängern in Talca. „Und heute haben wir sieben Kinder. Denn man darf sich nicht nur um das Geschäft kümmern, sondern auch um die Liebe.“ Die Menge verlangt im Chor: „Der Kuß, der Kuß.“ Und Fra-Fra umschlingt seine First Lady und küßt sie auf den Mund.

Am Tag darauf, dem letzten Wahlkampftag, kam es in der Hauptstadt zu Zusammenstößen, bei denen über 30 Personen verletzt wurden. Mehrere Anhänger des ehemaligen sozialistischen Staatspräsidenten Salvador Allende lieferten sich ein kurzes Handgemenge mit 22 Buchi-Sympathisanten, die von der Kundgebung des Kandidaten der Rechten zurückkamen. Militarisierte Carabinero-Polizisten setzten erstmals im Wahlkampf Wasserwerfer und Tränengas ein.