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■ Christ- und Sozialdemokraten machen sich Sorgen: DDR-Freizügigkeit räubert Sozialetat

Berlin (dpa/ap/taz) - Bundesarbeitsminister Blüm will „in Kürze“ Vorschläge vorlegen, wie die sozialpolitischen Probleme aufgrund der Freizügigkeit der DDR-Bürger bewältigt werden können und ein Mißbrauch ausgeschlossen werden kann. Auf einer Pressekonferenz ließ Blüm gestern erkennen, daß beispielsweise Rentenzahlungen oder der Bezug von Sozialhilfe von einem ersten Wohnsitz in der Bundesrepublik abhängig gemacht werden könnten. Im Sinne der Entwicklung konföderativer Strukturen werde es langfristig auch zu einem Sozialversicherungsabkommen mit der DDR kommen, meinte Blüm. Die Vorschläge des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Lafontaine zu einer deutsch-deutschen Rentenregelung haben gestern erneut Diskussionen ausgelöst. Lafontaine hatte am Dienstag von „guten Argumenten“ dafür gesprochen, Rentnern aus der DDR künftig keine Rente in der Bundesrepublik mehr zu zahlen. Der Kölner Regierungspräsident Antwerpes erklärte gestern, er sei grundsätzlich mit Lafontaine einer Meinung. Auch der Hauptgeschäftsführer des Verbandes deutscher Rentenversicherungsträger, Kolb, stellte gestern öffentlich die Frage, ob es weiterhin Aufgabe des bundesdeutschen Rentensystems sein könne, Rentenansprüche aus DDR-Zeiten ohne Gegenleistungen zu befriedigen, „und zwar in einer Höhe, von der der Durchschnittsrentner in der DDR nur träumen kann“. Kolb forderte eine Änderung des sogenannten Fremdrentengesetzes.

Währenddessen wehrte sich gestern die CDU/CSU gegen Presseberichte, sie stimme insgeheim mit Lafontaine bei der Begrenzung des Zuzugs aus der DDR überein. Der Union gehe es lediglich darum, den Mißbrauch von Sozialleistungen einzudämmen und einen Sozialtourismus zu verhindern, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Bohl. Die Menschen aus der DDR brauchten keine Sorge zu haben, daß sie aus dem Sozialsystem ausgegrenzt werden. Allerdings hieß es aus CSU-Kreisen gestern auch, die Höhe und die Anrechnungsmodi einzelner Leistungen müßten neu überdacht werden.

Im medizinischen Bereich ist es gestern zu einem ersten formellen deutsch-deutschen Abkommen gekommen. Die Gesundheitsministerien der DDR und der Bundesrepublik einigten sich auf ein Sofortprogramm in Millionenhöhe zur Verbesserung der medizinischen Versorgung. Dabei geht es fast ausschließlich um medizinische Hilfsmittel und Geräte aus der Bundesrepublik. Demgegenüber steht die DDR einem Einsatz von Ärzten aus der Bundesrepublik eher skeptisch gegenüber. Der Einsatz von West-Ärzten und Pflegepersonal sei „nicht so dringlich“. Außerdem gebe es Widerstände von seiten der DDR-Ärzteschaft.