Mordfall Schmücker - Ende offen

Immer wieder gelingt es dem Verfassungsschutz, sich aus dem Gerichtsverfahren herauszuhalten / Identität der V-Männer „Wien“ und „Flach“ wird aufgedeckt / Die Verwicklungen des VS kommen ans Licht  ■  Von Jerry Cotton

Doch von all dem ahnt die Verteidigung nichts. Nach 37 Verhandlungstagen geht das erste Verfahren gegen die Wolfsburger im Juni 1976 zu Ende. Urteil: lebenslange Haft für Ilse Schwipper als „Anstifterin des Mordes an Schmücker“. W. wird „als Todesschütze“ zu acht Jahren Jugendstrafe verurteilt, mit jeweils vier Jahren Jugendstrafe werden die anderen drei Wolfsburger bedacht. Kronzeuge Bodeux, durch den die schweigenden Angeklagten belastet worden sind, bekommt fünf Jahre Haft.

Der Bundesgerichtshof gibt jedoch der Revision der Anwälte statt und kippt das Urteil. Grund: Nicht alle Aussagen, die Bodeux vor der Polizei gemacht hat, sind in das Verfahren eingeführt worden.

Das zweite Verfahren dauert 109 Tage und endet 1979 mit dem gleichen Urteil. Gewechselt hat aber inzwischen einer der Staatsanwälte: Prszytarski ist inzwischen befördert worden und geht als Oberstaatsanwalt an das Kammergericht. Aber auch das zweite Urteil kassiert der BGH mit der Begründung, das Gericht habe den Rechtsanwälten das Fragerecht an den Zeugen Bodeux zu Unrecht beschnitten.

Während beider Verfahren wird für die Rechtsanwälte zwar immer deutlicher, daß der Verfassungsschutz offenbar auf das massivste in diese Angelegenheit verwickelt ist, daß es dafür aber keine greifbaren Beweise gibt - noch nicht. Auch im dritten Verfahren, das im Mai 1981 beginnt und bis Juni 1986 dauern wird, konzentriert sich die Verteidigung auf die Infragestellung der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen Bodeux.

Im Sommer 1982 wird die Hauptangeklagte Ilse Schwipper aufgrund der langen Untersuchungshaft mit Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Ihre Mitangeklagten haben ihre Strafe ohnehin bereits abgesessen und sind schon seit längerem wieder in Freiheit. An der Gefängnispforte wird Ilse auch von Freund Christian abgeholt. Der hat sich inzwischen beim Aufbau der Szene-Kneipe „Spektrum“, bundesweit bekannt als „Speki“, nützlich gemacht.

Im Oktober 1986 aber bringt der 'Spiegel‘ eine Enthüllungsgeschichte: Volker Weingraber Edler von Grodek (Jahrgang 1942) sei über sieben Jahre lang V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes mit dem Decknamen „Wien“ gewesen. Zwei Jahre später ist auch Christian Hain enttarnt. Wieder wird der 'Spiegel‘ gespickt: Hain sei der jahrelang tätige V-Mann des Verfassungsschutzes mit dem Decknamen Flach gewesen. Zwölf Jahre hat Hain unentdeckt nicht nur in der militanten Szene West-Berlins, sondern auch im Bundesgebiet bis hinein in andere europäische Länder agiert.

Prompt kippt der BGH das Urteil zum dritten Mal. Diesmal werden die Richter präziser: Alle Fakten, auch die Verwicklung des Verfassungsschutzes in den Fall, müssen auf den Tisch, heißt es in der Begründung. Im Frühjahr 1990 wird es also zu einer vierten Auflage des Schmückerprozesses kommen.

Seit dem Mord an Schmücker sind 15 Jahre vergangen. Drei SPD- und zwei CDU-Innensenatoren haben die Verwicklungen ihres Amtes in den Mordfall hingenommen und gedeckt und damit zugelassen, daß der Verfassungsschutz den Verlauf des Gerichtsverfahrens hat bestimmen können. Gebilligt haben sie damit auch großangelegte Vertuschungsmanöver, Aktenmanipulation, Anwaltsbespitzelung und die Unterschlagung wichtiger Beweismittel. So ist den Anwälten erst jetzt bekannt geworden, daß bereits 1975 dem Staatsanwalt Prsytarski ein anonymes Schreiben zugegangen ist, aus dem hervorging, daß Volker Weingraber sich in kleinem Kreise selbst damit gebrüstet hat, Agent des Verfassungsschutzes zu sein.

Die beiden Staatsanwälte Prszytarski und Müllenbrock aber machen unterdessen unter CDU-Ägide eine steile Karriere: Müllenbrock wird unter Innensenator Lummer dessen Staatssekretär, und sein Kollege Prszytarski bringt es bis zum Vizecef des Berliner Verfassungsschutzes - ein Schelm, der Böses dabei denkt!

Noch in der Opposition, fordert die SDP schließlich, wie auch die Alternative Liste und die Berliner Anwaltskammer, einen Parlarmentarischen Untersuchungsausschuß, der endlich Licht in die Verwicklungen des VS in den Mordfall Schmücker bringen soll. Einer, der alles wissen müßte, kann allerdings nicht mehr aussagen: „Unser bester Mann“, Michael Grünhagen, ist tot. 1987 verstirbt der Geheime ganz geheim: Beerdigt wird er unter dem Namen Michael Wend und ruht auf dem Friedhof in Berlin-Kladow unter einem Grabstein mit der schlichten Aufschrift: „Michael“.

Fazit dieses Ausschnitts der VS-Aktivitäten in der „Terrorismus„-Szene: Nichts aufgeklärt, aber ständig „Täter“ produziert - von Staats wegen. Das heißt nun nicht, Gruppen wie die RAF, die Bewegung 2. oder die Revolutionären Zellen (RZ) hätten ihre Aktionen quasi durchweg unter der Obhut der Staatsorgane durchgeführt. Gerade weil das eben nicht so war, war der Geheimdienst ständig bemüht, über Randbereiche in diese Gruppen einzudringen - und sei es durch amtseigene Bombenleger. Wie weit auch in anderen Fällen die Allianz von Militanz und agents provocateurs zum Tragen kam, muß hier dahingestellt bleiben.

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