Die Unfähigkeit zu warten

Streibl und die Sudetendeutschen  ■ G A S T K O M M E N T A R

Jeder, der sich in dieser Materie nur ein bißchen auskennt, weiß es: Wenn es in der Tschechoslowakei eine stabile demokratische Regierung gibt, wird es hier früher oder später auch zu einer Diskussion über die Vertreibung der Sudetendeutschen kommen. Diese Diskussion wird sich ganz spontan - ohne jeglichen Druck von außen - entwickeln. So, wie sie schon 1968 ansatzweise da war. Latent ist die Auseinandersetzung mit der sudetendeutschen Frage schon sowieso lange vorhanden, trotz der offiziellen Tabuisierung des Themas durch die bisher Regierenden. Denn jeder Tscheche, der sich mit der Geschichte seiner Heimat ernsthaft beschäftigt, muß auf das Problem des deutsch -tschechischen Zusammenlebens und seines tragischen Endes stoßen. Als „ein Steinchen im Schuh“ hat es neulich eine junge Tschechin bezeichnet.

Die Auseinandersetzung mit diesem Thema tut Not. Man muß aber auch wissen, daß die sudetendeutsche Frage in dem tschechischen Bewußtsein unzertrennlich mit dem schwersten Trauma der jüngsten tschechoslowakischen Geschichte verbunden ist: mit dem Ende der ersten Republik und der Schmach des Münchener Abkommens, das der kleinen Nation ihre Ohnmacht so drastisch demonstrierte. Der Sprecher der „Sudetendeutschen Landsmannschaft“, Neubauer, hatte diesmal eine glückliche Hand im Umgang mit dem heiklen Thema. In seiner Erklärung zu den Ereignissen in der Tschechoslowakei war von der gemeinsamen Heimat und der Aufarbeitung der jüngsten Geschichte beider Völker die Rede. Diese Erklärung hätte auch jeder Tscheche mit Freude unterschreiben können.

Nun sah sich aber der bayerische Ministerpräsident Streibl genötigt, nicht hinter den zehn Punkten des Bundeskanzlers und allen seinen vereinigten Tolpatschigkeiten zurückzubleiben. In seiner Regierungserklärung forderte er die tschechoslowakische Regierung auf, sich in aller Form für die Vertreibung der Deutschen zu entschuldigen. Einen besseren Dienst konnte er den Parteidogmatikern in Prag nicht erweisen: Die Maßlosigkeit des deutschen Nationalismus diente ihnen schon immer als das beste Argument für die Anlehnung an den großen slawischen Bruder.

Viele Tschechen und Sudetendeutsche haben in den vergangenen Jahren ohne großes Aufsehen durch zwischenmenschliche Kontakte zu der Verständigung beider Völker beigetragen. Muß man nun, nachdem man vierzig Jahre gewartet hat, sofort alles haben, kann man nicht diese Beziehungen in Ruhe weiter wachsen lassen, bis auch auf der offiziellen Ebene die Zeit zur Versöhnung reif wird?

Alena Wagnerova