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DGB-Demokratie: Erst einnorden, dann abstimmen

■ DGB-Delegierte hieven DGB-Chef einstimmig in Angestelltenkammer vorstand / HBV und ÖTV'ler umgefallen

Siegfried Schmidt, seit vier Wochen mit dem Amt und der Würde eines Bremer DGB-Vorsitzenden ausgestattet, hat es geschafft. Erstens: Beim ersten Anlauf mit den Stimmen sämtlicher DGB-Delegierten Vorstandsmitglied der Angestelltenkammer zu werden. Zweitens gleich mehrere Einzelgewerkschaften a) durcheinander und b) gegen sich aufzubringen. Und drittens eine höchst eigenwillige Interpretation von Demokratie im Bremer DGB durchzusetzen. Demokratie ist unter Gewerkschaftern spätestens seit vorgestern - wenn das Wahlvolk vor entscheidenden Abstimmungen stramm auf Einheits(gewerkschafts)linie gebracht wird.

„Ich kann nichts Undemokratisches daran finden, wenn DGB -Gewerkschafter vor einer Abstimmung eingenordet werden“, kommentierte gestern selbst Angestelltenkammer-Präsident und HBV-Mitglied Bernhard Baumeister den überraschend eindeutigen Erfolg seines neuen Vorständlers Schmidt. Und da der Präsident gerade beim Wesen der Demokratie war, erklärte er auch gleich, was „undemokratisch“ ist. „Undemokratisch“, so Baumeister, sei bei der Wahl des Kollegen Schmidt allenfalls der Druck einzelner Gewerkschaften auf ihre Angestelltenkammer-Vertreter gewesen: Mit öffentlichen Stellungnahmen, Vorstandsbeschlüssen und persönlichen Ins -Gebet-Nahmen seien Kammermitglieder unter einzelgewerkschaftlichen Druck gesetzt worden, Schmidt lieber nicht zu wählen.

Was Baumeister bei seinem gewerkschaftsdemokratischen

Grundkurs nonchalant übersah: Mit dem DGB-Kreisvorstand hatte immerhin selbst Bremens hierarchie-höchstes einheitsgewerkschaftliches Gremium seinem neuem Chef von einer Kandidatur abgeraten. Sinngemäß gleiche Beschlüsse hatten ÖTV und HBV gefaßt. Beide Einzelgewerkschaften stellen mit neun Delegierten zusammen immerhin die Mehrheit der DGB-Vertreter in der Angestelltenkammer.

Umso überraschender das Ergebnis bei einer geheimen Probeabstimmung nach der dreistündig-fraktionsinternen Debatte über die Schmidt-Kandidatur: Mit glatten zehn zu zwei Stimmen votierten die DGB-Delegierten

für den Antritt Schmidts. Die komplette HBV-Riege und die halbe ÖTV-Mannschaft waren umgefallen, sofern sie nicht schon liegend in der Sitzung erschienen waren. Allein die IG Metall hatte in der gesamten Debatte stramm vor, hinter und neben ihrem Mitglied Schmidt gestanden und dafür während des Fraktionstreffens kräftige Unterstützung durch die Bremerhavener Delegierten erhalten. Sie erinnerten ihre Bremer Kollegen nachdrücklich an eine zwei Jahre alte Absprache der beiden Kreisvorstände: Sowohl in der Arbeiterkammer wie in der Angestelltenkammer, so der damalige Deal, müsse ein DGB-Vertreter

im Vorstand sitzen. Für den Fall, daß das angesichts des Kollegen Siegfried Schmidt nicht mehr gelten solle, drohten die Bremerhavener mit einem demonstrativen Auszug aus der Vollversammlung.

Dabei: Noch am Donnerstag Mittag hatte es so ausgesehen, als würde Schmidt angesichts der gewerkschaftsinternen Opposition im letzten Moment seine Kandidatur zurückziehen. Kammer-Präsident Baumeister gehörte am Vormittag noch zu den wohlmeinenden Ab-Ratgebern des DGB-Chefs. Sechs Stunden später beugte sich auch der Kammerpräsident dem zuvor einstimmig und in offener Abstimmung verhäng

ten Fraktionszwang. Als die Stimmen ausgezählt waren, lautete das Ergebnis 14 Stimmen für Schmidt, 9 dagegen. Exakt neun Mandate hat die DAG in der Angestelltenkammer -VV.

Trotz des klaren Ergebnisses: In einigen Gewerkschaften kracht es. Als „nicht nachvollziehbar“ wertete gestern HBV -Geschäftsführer Helmut Thiel das Ergebnis und schloß dabei ausdrücklich das Abstimmungsverhalten der HBV-Delegierten inklusive Kammerpräsident - ein. Konsequenzen vor den Wahlen hatte auch Postgewerkschaftsvorsitzender Siegfried Sauer für den Fall einer Schmidt-Wahl gefordert. Schriftlich ließ er Schmidt und die ÖTV-Vorsitzende Gisela Hülsbergen wissen: „Dem neuen DGB-Kreisvorsitzenden muß deutlich gemacht werden, daß er sich an die Beschlüsses seines Kreisvorstandes zu halten hat. Tut er dies nicht, ist er für die zu ziehenden Konsequenzen verantwortlich.“ Zur Tagesordnung übergehen möchte dagegen die ÖTV-Vorsitzende Gisela Hülsbergen. Ihr Trost für den durchgefallenen ÖTV -Kanidaten Dieter Stratmann: „Es liegt im Wesen einer Kandidatur, daß sie mit einem Durchfall enden kann.“

Übrigens: Nachdem die Kammer-VV Schmidt, der vor acht Wochen gegen eine Frau DGB-Vorsitzender geworden war, in ihren Vorstand erhoben hatte, verabschiedeten sie noch schnell ein Programm unter dem Motto: „Die Angstelltenkammer wird sich künftig stärker als bisher aktiv in der Frauenpolitik, Frauenforschung, Arbeit für Frauen einsetzen.“

K.S.

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