Der Zapfenstreich für Zivilisten

■ Die Geschichte der Polizeistunde / „Auf die niedere Volksklasse anwenden“ / Staatliches Zwangsmittel zur Volkskontrolle

Im Herzogtum Nassau wurden 1864/65 in den Wirtschaften aufgeregte politische Diskussionen geführt, so daß es auf dem Weg nach Hause „zu Unfug, Schlägereien und aller Art von Störung der Nachtruhe“ gekommen ist. Von Preußen her, wo solcherart Unbotmäßigkeiten schon länger ein Riegel vorgeschoben war, erhielten die Nassauer einen guten Tip.

Es erging eine schriftliche Anweisung an die königliche Regierung in Wiesbaden. Ein Herr von Rössler unterschrieb dann eine Polizeiverordnung, nach der es den Gästen bei Strafe von 30 Kreuzern (Wirte drei bis zehn Gulden) streng untersagt wurde, sich nach Mitternacht in einer Wirtschaft aufzuhalten. Daß damit der „gefährlichen“ politischen Diskutiererei an der Basis entgegengehalten werden sollte, ließen die dazu gegebenen Anweisungen erkennen: „Die Bestimmungen sind nur auf Wirtschaften, in denen die niedere Volksklasse verkehrt, anzuwenden.“ Aus dieser Verordnung machte der deutsche Staat im April 1930 ein umfangreiches Gesetz. Auch das war wohl zu allererst als Legitimation des polizeilichen Zugriffs gedacht. In diesen Zeiten war es besonders wichtig, der unkontrollierbaren Stammtischpolitik einen zeitlichen Riegel vorzuschieben. Warum sich der Staat überhaupt als Amme aufspielt und Regelungen trifft, die jeder gesunde Mensch alleine entscheiden kann, bleibt ein Paradoxum.

Lärm und grober Unfug sind sowieso grundsätzlich nicht gestattet und haben mit der Polizeistunde doch nichts zu tun. Je länger die Gaststätten geöffnet haben, desto mehr Steuern nimmt der Staat ein, und für die Überprüfung der Sperrzeit muß er sogar Ordnungshüter von wichtigeren Aufgaben abziehen. Bleibt also die Vermutung, der Staat will um seiner selbst willen das Volk ruhigstellen. Der Ursprung des Obrigkeitswahns in Sachen Ausgangssperre bestätigt dies.

Im politischen Testament Friedrich des Großen hieß es: „Die Polizeistunde verdankt ihre Entstehung einer Anordnung des Königs Friedrich Wilhelm von Preußen, der mit einer solchen Maßnahme die Absicht verfolgte, den Zapfenstreich seiner Garnison auch auf die Zivilbevölkerung auszudehnen.“ Daran hat sich wohl auch 200 Jahre danach nichts geändert.

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