Realsozialistische Schnellbauten

■ Die Großstadien in Ost-Berlin wurden Anfang der fünfziger Jahre in nur wenigen Monaten hochgezogen / Vom „Walter-Ulbricht-Stadion“ zum Stadion der Weltjugend / Die renovierungsbedürftigen Ovale wären durchaus als Olympia- und Fußballzweitstadien geeignet

Hier nun Teil zwei unserer kleinen Serie über die Berliner Sportarenen: Heute berichten wir über das Stadion der Weltjugend und den Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Ost -Berlin.

Wie man schnell und unbürokratisch gleich zwei große Sportarenen aus dem Boden stampft, können die planerischen Langweiler des Westberliner Sportstadions im Ostteil der Stadt studieren. Dort entstanden zu Beginn der 50er Jahre die repräsentativsten Stadien der Hauptstadt in atemberaubendem Tempo.

In nur viermonatiger Bauzeit modelten Werktätige in einer Front mit FDJ-Mitgliedern das alte Polizeistadion an der Chaussestraße zum Stadion der Weltjugend um. Der Anlaß war das erste Deutschlandtreffen der Jugend und Studenten im Sommer 1950. „Aus Schuttbergen entstanden Zuschauertrassen, wir richteten verbogene Eisenträger“, schreibt Willi Braune, der spätere Direktor der Sportstättenverwaltung, mit frühsozialistischem Pathos.

Nicht genug damit. Fast zur gleichen Zeit legten FDJ -Uniformträger Hand an den berühtem „Exer“ (Exerzierplatz), einer der Urzellen des deutschen Fußballs im Bezirk Prenzlauer Berg. Ganze fünf Monate später, am 3.August 1951, wurde der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark seiner Bestimmung übergeben, die XI.Akademischen Sommerspiele konnten beginnen. „Die Bahnen im Stadion bauten wir selbst aus“, erinnert sich Mitarbeiterin Hildegard Grämpner im LDPD-Organ 'Der Morgen‘. Vielleicht gerieten deshalb die Laufbahnen zunächst etwas unkonventionell...

Auch in der Folgezeit verlief die Entwicklung beider Ovale in erstaunlichem Gleichschritt. Hier wie dort bestand eine enge Verbindung zwischen Leistungs- und Breitensport. Während sich im Stadion der Weltjugend noch heute vornehmlich der studentische Nachwuchs sowie leibestolle Volkspolizisten tummeln, ist an der Cantianstraße DDR -Fußballmeister Dynamo zu Hause. Den sportlichen Glanzpunkt am Prenzlauer Berg setzte vor 19 Jahren allerdings Vorwärts Berlin, der Club der Volksarmee, als er Benfica Lissabon nach Elfmeterschießen aus dem Europapokal warf.

„Es entsteht ein neues Stadion“, jubelte am 2.Mai 1973 die 'Neue Zeit‘, als das Stadion der Weltjugend renoviert und ausgebaut wurde: 20.000 Sitz- sowie 30.000 Stehplätze umfaßt das 135.000 Quadratmeter große Areal nunmehr, gerade richtig für den Massenaufmarsch der kurz darauf stattfindenden X.Weltfestspiele 1973.

Obgleich auch im benachbarten Jahn-Sportpark solche Veranstaltungen über die Bühne gingen, dauerte es noch 13 Jahre, bis die Dynamo-Arena renoviert wurde. Heutiges Fassungsvermögen: 24.000 Sitzplätze - eigentliches ein ideales Zweitligastadion für Hertha BSC und Blau-Weiß 90. Aber es ist nicht immer leicht, in Ost-Berlin das gesuchte Stadion zu finden. So berichteten U-Bahnfahrgäste Mitte März 1973, daß das Schild „Walter-Ulbricht-Stadion“ sowohl am Sportplatzeingang Chausseestraße als auch in der benachbarten U-Bahnstation klammheimlich abgehängt worden sei. Danach erfolgte die Umbenennung in Stadion der Weltjugend.

Selbst der Namensgeber F.L. Jahn im Norden Berlins macht stutzig, war doch der alte Zottelbart als „hündisch ergebener Monarchist“ oder bestenfalls kleinbürgerlicher Revoluzzer bekannt. Die Einreihung in die sozialistische Ahnengalerie ließe ihn sicherlich vom Barren purzeln. Eines jedoch geben selbst DDR-Sportfunktionäre zu: Olympiareif sind beide Sportstätten nicht. Zwar erfüllt der Jahn -Sportpark noch mittlere Ansprüche, doch der 50.000 -Zuschauerkasten in Berlin-Mitte gilt als überholungsbedürftig.

Nicht von ungefähr tauchten vor Jahresfrist in den Reihen des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR (DTSB) Pläne für ein neues „National-Stadion“ an der Spree auf. Geld schien damals, nach Ablauf des Fünfjahresplanes im Wohnungsbau, durchaus vorhanden. Aber gehört hat man von diesen Sandkastenspielen nichts mehr. Das immer näher rückende Riesending Olympia 2000 oder 2004 in „Gesamt-Berlin“ könnte auch die Planer in der Hauptstadt auf Trab bringen. Nach dem Motto geteiltes Leid ist geteiltes Geld würde sich zumindest der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark als geeigntes Zweitstadion neben dem Westberliner Olympiastadion anbieten. Eine interessante sportpolitische Konstellation, die sogar Auswirkungen haben würde bis nach Tiergarten, wo man nach wie vor um eine Zukunft für das Poststadion ringt.

Jürgen Schulz