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Spanien: Rente nach versuchter Vergewaltigung

Gericht bezeichnet sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz als „Arbeitsunfall“ / Erstmals erhielt eine Frau eine finanzielle Entschädigung / Feministische Rechtsanwältin sieht neue Verteidigungsmöglichkeiten / Täter bezeichnete seinen Angriff als „Späßchen unter Kollegen“  ■  Aus Barcelona Nikolas Marten

Ein arbeitsrechtliches Urteil, das vom obersten Gerichtshof der spanischen Region Castillata Mancha in der vergangenen Woche gefällt wurde, hat die Rechte und Möglichkeiten von Frauen, die am Arbeitsplatz sexuell belästigt werden, entscheidend erweitert. In einem Land, das nicht zu Unrecht als Heimstätte des Machismo bezeichnet wird, wurde in letzter Instanz „sexuele Belästigung am Arbeitsplatz“ als „Arbeitsunfall“ deklariert; dem Opfer wurde eine Invalidenrente zugesprochen.

Am Morgen des 13.Februar 1985 hielt sich die 35jährige medizinisch-technische Angestellte Maria de los Angeles Montero im Umkleideraum der städtischen Ambulanz von Tamellaso auf, als sie von dem damals 60jährigen Aushilfskrankenpfleger Sanchez Rey angefallen wurde. Nachdem sich die Angegriffene zur Wehr setzte, bedrängte er sie so heftig, daß sie an beiden Arme schwere Hämatome erlitt.

Die Frau strengte daraufhin einen Prozeß vor dem Provinzgericht von Tomelloso wegen „versuchter Vergewaltigung“ an. Der Täter erklärte vor Gericht, daß es „nur ein Späßchen unter Kollegen“ gewesen sei. Das Gericht beließ es bei einer Geldstrafe von 49.000 Peseten (775 DM) wegen eines „einfachen Vergehens“ und wies den Vergewaltigungsvorwurf der Klägerin ab. Das Opfer, Mutter von drei Kindern, sah sich nach Bekanntwerden des Urteils wüsten Beschimpfungen der Bevölkerung ausgesetzt. Das Leben in ihrem Geburtsort wurde derart zur Qual, daß Maria Montero in eine 80 Kilometer entfernte Kleinstadt umziehen mußte. Dazu litt sie unter so schweren Depressionen und traumatischen Angstzuständen, daß sie 26 Monate arbeitsunfähig war und psychiatrisch betreut werden mußte. Da sie weiter prozessierte, erhielt sie ihr Krankengeld nur unter Vorbehalt.

Nach knapp fünfjährigem Prozeß-Marathon beurteilte nun der Sozialsenat des obersten Gerichtshofes der Region Castilla -La Mancha am vergangenen Mittwoch letztinstanzlich ihre „wegen einer sexuellen Aggression am Arbeitsplaz erlittenen physischen und psychischen Folgeschäden“ als „Arbeitsunfall“ und verdonnerte das „Amt für Sozialsicherheit“ (INSS) und das nationale „Institut für Gesundheit“ (Insalud) zur Zahlung der 100prozentigen Invalidenrente von umgerechnet 1.440 Mark für die 26 Monate Berufsunfähigkeit an die Klägerin.

Dieses Urteil, nicht nur auf der iberischen Halbinsel eine juristische Novität, überrascht um so mehr, als erst vor wenigen Wochen ein Richterspruch aus Lleida (Katalonien) publik wurde, der die Schuld einer Vergewaltigung dem Opfer selbst gab, da sie durch „das Tragen eines Minirocks den Kontrollverlust der primären Instinkte“ des Täters provoziert habe.

Die bekannte Frauenrechtlerin und Anwältin Maria Jose Varela, die allein in diesem Jahr zwanzig Vergewaltigungsopfer rechtlich betreut, sieht durch diese Entscheidung neue Verfahrensmöglichkeiten. Bisher sei das größte Problem die Schmerzensgeldregelung gewesen. „Zum ersten Mal haben Frauen jetzt die berechtigte Chance, auch mit Geld entschädigt zu werden“, da von nun an der Arbeitgeber in solchen Fällen regreßpflichtig gemacht werden kann.

Erschreckendes wie Aufschlußreiches über Vergewaltigungen in Spanien offenbaren die 1987 von der sozialistischen Gewerkschaft UGT veröffentlichten Ergebnisse einer Umfrage. Danach wurden 27 Prozent der Frauen am Arbeitsplaz ein- oder mehrmals sexuell direkt belästigt, vier Prozent der 772 repräsentativ befragten Frauen erklärten, sie seien „während der Berufsausübung gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr genötigt worden“, sprich vergewaltigt.

Sieben Jahre sozialistischer Zentralregierung haben an dem in der spanischen Gesellschaft vorherrschenden Frauenbild „Mann nimmt, Frau gibt“ nur wenig geändert. Bezeichnend, daß Latin-Lover-Barde Julio Iglesias just in dieser Woche mit dem Refrain „Manchmal will ich mehr...“ die Spitze der Hitparade eroberte.

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