Der Dom darf bleiben!

■ Bremer Domchor singt Händels „Messiah“ / Auch der Rezensent ist begeistert

Lieber Wolfgang,

ehrlichen Respekt vor dieser Aufführung! Den „Messiah“ in voller Länge, ohne die üblichen, gewaltsamen „Striche“ die sich tatsächlich durch nichts rechtfertigen lassen. Zudem in englischer Sprache; wir wissen ja alle, daß der Versuch, der Musik deutsche Worte unterzulegen, ein Akt von Barbaren war. Und selbstverständlich die Interpretation selbst: ein exzellenter „Domchor“, sauber und homogen. Bei den zum Teil raschen Tempi eine überdurchschnittliche Leistung. Das Orchester (Ensemble „Steintor Barock“) ließ nahezu nichts zu wünschen übrig.

Die Solisten standen dem in nichts nach. Vielleicht konnte Barbara Schlick (Sopran) nicht so ganz die Eleganz ihrer Stimme entfalten, wie man es von ihr gewohnt ist, und Graham Pushee (Altus) und Harry Geraerts (Tenor) litten anfangs unter leichten „Startschwierigkeiten“, trotzdem ging die Wahl dieser Solisten (nicht zu vergessen Phillip Langshow, Baß) im „Interpretenkonzept“ glatt auf. Wäre das Konzert nicht im Dom gewesen - Du ahnst sicher, was ich meine - so hätte man vermutlich jedes Wort verstanden.

Im interpretatorischen Aufbau des Oratoriums ist der zweite Teil in seiner dramatischen Steigerung ein absolutes Bravourstück gewesen. Daß der Elan der Mitwirkenden im dritten Abschnitt etwas abflachte, ist demgegenüber kein Wunder, da ein fast dreistündiges Konzert ohne rechte Pause eine wahre Tortur darstellt. Das Publikum war begeistert. Sogar die Domisten vergaßen das gewöhnliche Murren in der Pause über zu schnelle Tempi oder abgehacktes Spiel. Daß die Hörer sich vor den Kassen und den Eingängen fast gegenseitig totgetreten hätten, beweist, daß der musikalische „Umerziehungsprozeß“ als abgeschlosssen betrachtet werden darf. Vielleicht noch ein oder zwei populäre Werke könnte man demnächst aufführen, die bislang der romantischen Verhunzung anheimgefallen sind. Gewissermaßen zur Festigung des aufgeklärten musikalischen Bewußtseins. (Ich übertreibe sicherlich nicht, wenn ich Dir sage, daß andere Bremer Kantoren vermutlich schlaflose Nächte haben werden. Sie verfügen eventuell nicht über die finanziellen Möglichkeiten eines Domkantors, bei der Chorarbeit hingegen müssen sie sich künftig

wohl an den von Dir gesetzten Maßstäben messen lassen.) Der nächste Schritt wäre nun die innovatorische Belebung des Bremer Konzertalltags. Statt zu Ostern die ewigen Passionen von Bach zu bringen, böte sich beispielsweise A. Scarlatti a, oder Händels phan

tastisches Jugendwerk „La Resurrezione“ (ich weiß, ich weiß, sie bieten nicht genügend Möglichkeiten für einen großen Chor, und der will schließlich auch beschäftigt sein). Also nochmals, Respekt vor dieser hervorragenden Aufführung.

H. Schmidt