Von der Baumwolle zum Kniegelenk

■ Das Faserinstitut der Bremer Baumwollbörse verstärkt die Grundlagenforschung / Eine Keimzelle im Bremer Technologie-Bereich

Die Bremer Baumwollbörse: In dem architektonisch bestaunenswerten Relikt der Jahrhundertwende ist auch das Faserinstitut Bremen untergebracht. Auch hier im 5. Stock liegen zwei Zeitalter Tür an Tür: Früher eher ein Labor für die Qualitätskontrollen der rund um die Baumwollbörse organisierten Händler und Industrien, erfährt das Institut in jüngster Zeit eine Neuorientierung hin

zur Grundlagenforschung. Hochtechnisierte Testsysteme lösen die herkömmlichen Prüfverfahren zunehmend ab, objektivierte Maschinenprüfung tritt neben das Fingerspitzengefühl und Augenmaß der Baumwollklassierer.

Ein Kooperationsvertrag bindet das Institut seit zwei Jahren enger an die Universität. Bindeglied ist seit wenigen Monaten der neue Leiter des Instituts, Helmuth

Harig, der als Professor für Werkstofftechnik, Schwerpunkt Faserverbundwerkstoffe und Spezialfasern, formal an die Bremer Uni berufen wurde. Das neue Faserinstitut ist zwar auch weiterhin Laboratorium der Bremer Baumwollbörse und des Woll-Labor e.V., wird aber verstärkt im Bereich von Grundlagen-und anwendungsorientierter Forschung tätig sein. Das Land Bremen fi

nanziert die Hälfte der Haushaltskosten des Instituts. Die andere Hälfte müssen die Faserforscher über Prüfaufträge und Drittmittel einwerben.

„Das Institut ist von seiner Rechtskonstruktion her unabhängig“, betont Institutsleiter Harig. Mittel für die eher anwendungsorientierten Forschungsprojekte würden meist über das Forschungskuratorium Gesamttex

til, bzw. über die AIF - Arbeitsgemeinschaft Industrieller Forschungsvereinigungen, beschafft, einer Organisation, die aus der Industrie und der öffentlichen Hand rekrutierte Forschungs-Gelder verteilt. Im Bereich der Grundlagenforschung sollen Deutsche Forschungsgemeinschaft und Volkswagen-Stiftung angezapft werden. Das Institut wird von einem Verwaltungsrat überwacht, in dem Vertreter aus Handel und Industrie, der Wirtschaftssenator, der Rektor der Universität, der Direktor der Bremer Baumwollbörse, ein Vertreter der Bremer Wirtschaft, sowie je ein Vertreter des Forschungskuratoriums Gesamttextil und der Vereinigung des Wollhandels sitzen.

Mit der Neukonzeption des Instituts sind derzeit rund 1,5 Millionen Mark Investitionen verknüpft: Investitionen in eine „Keimzelle“ des technologischen Wirtschaftsstandorts Bremen. Die technische Ausstattung des Faserinstituts wurde bereits um Lichtmikroskope ein Elektronenmikroskop und ein Rasterelektronenmikroskop verbessert.

Doch auch für die zeitgemäßen Qualitätskontrollen von Wolle und Baumwolle werden angesichts der Hochgeschwindigkeitsverarbeitungder Rohfasern immer aufwendigere Verfahren und Maschinen notwendig: Eine Spinnmaschine arbeitet heutzutage bereits mit 100.000 Umdrehungen pro Minute. Zum Vergleich: Eine Flugzeugturbine auf 10.000 Umdrehungen in der Minute. Entsprechenden Belastungen sind Maschinenteile und Fasern ausgesetzt. Fatal würde sich in einem solchen Verarbeitungsprozeß das Verkleben von Fasern, z.B. durch die honigartigen Kotklümpchen eines Insektes (Honigtau), auswirken. Um die richtige Rohstoff-Mischung für die Hightech-Maschinen zu finden, müssen sämtliche Rohstoffballen der angelieferten Baumwolle auf ihre Festigkeit, auf Dehnbarkeit, Faserdurchmesser und -länge und auf Reifegrad ge

prüft werden.

Bremen ist der größte Importhafen für Baumwolle in Europa. In dieser Tradition ist die internationale Stellung der Bremer Baumwollbörse gewachsen, bestimmt sie doch die Richtlinien für den Handel mit Baumwolle. Entsprechend häufig lassen Importeure ihre Lieferungen im Bremer Faserinstitut überprüfen. Institut wie Prüfverfahren sind in internationale Verpflichtungen eingebunden: Um die Vergleichbarkeit der weltweit vorgenommenen Tests zu sichern, werden viermal jährlich „Rundtests“ vorgenommen. Bremen ist Organisator für den Rundtest Baumwolle: Identische Proben werden an 200 Institute verschickt, die ihre Prüf-Ergebnisse dann binnen vier Wochen zur Auswertung und Veröffentlichung an das Bremer Institut zurückschicken.

Ein weiteres Standbein des Instituts ist bereits jetzt neben den Naturfasern der Bereich der Verbundstoffe, die sogenannten „Biowerkstoffe“: Diese speziellen Werkstoffe werden für Implantate verwandt, die bislang nur unzureichend von der Forschung beobachtet werden. Harigs neuer Mitarbeiter Thomas Schneider wird am Faserinstitut demnächst mit speziellen Belastungsmaschinen z.B. die Keramiken für künstliche Hüftgelenke, Materialien für Herzklappen oder Kohlestoffasern für den Einsatz in Kniegelenken testen. Denn noch wird in diesem Bereich mehr probiert als erforscht.

Birgitt Rambalski