„Setzen Sie auch mich auf den Index!“

Solidaritätserklärungen mit dem rumänischen Lyriker und Kritiker des Ceausescu-Regimes, Mircea Dinescu / Kritik am Vorsitzenden des Rumänischen Schriftstellerverbands  ■ D O K U M E N T A T I O N

Der rumänische Dichter Mircea Dinescu, von dem in diesem Jahr auch im bundesdeutschen Suhrkamp Verlag ein Gedichtband erschienen ist, gehört zu denjenigen Menschen in Rumänien, die in letzter Zeit von moralischen Standpunkten, die Ceausescu-Diktatur des öfteren angegriffen und angeprangert haben. Seither ist er heftigen Repressionen ausgesetzt. Letzten Donnerstag brachte die taz einen essayistischen Text von Dinescu. Nun haben uns zwei weitere Briefe erreicht, in dem sich zwei Kulturschaffende mit Dinescu solidarisieren. Alexandru Paleologu, Essayist und Literaturkritiker, seit 1970 Lektor im Verlag „Cartea romaneasca“, lebt in Bukarest. Radu Enescu, Redakteur der in Klausenburg (Cluj) erscheinenden Zeitschrift 'Familia‘, ist Verfasser vielbeachteter Essays aus den verschiedensten Bereichen von Kultur und Wissenschaft.

Herrn Dumitru Radu Popescu, Vorsitzender des Rumänischen Schriftstellerverbands.

Herr Präsident,

ich bin rumänischer Schriftsteller, Mitglied des legal existierenden Leitungsrats des Schriftstellerverbands und habe Ihnen im April dieses Jahres zusammen mit sechs anderen Schriftstellerkollegen einen kollektiven Brief geschrieben, in dem wir unsere tiefe Mißbilligung der gegen den Dichter Mircea Dinescu getroffenen willkürlichen Maßnahmen ausgesprochen haben. Eine kollegiale Antwort Ihrerseits blieb aus. Dagegen aber haben wir durch ein öffentliches Gerücht erfahren (jede schriftliche Bekanntgebung blieb aus), daß wir Veröffentlichungsverbot hätten. Tatsächlich durften wir danach feststellen, daß wir, mit Ausnahme eines einzigen, aus dem literarischen Leben beseitigt worden waren. Da niemand die Verantwortung für diesen Beschluß übernommen hat und da Sie der einzige Empfänger dieses Briefes waren, kann, mindestens von formalem Standpunkt her, die Schlußfolgerung gezogen werden, daß diese Entscheidung von Ihnen ausgegangen ist. Sie ist illegal. Und zudem ist sie auch noch lächerlich. Illegal, weil erstens eine solche Bestrafung in keinerlei Gesetzgebung oder Satzung vorgesehen ist, und weil zweitens Sie keine Befugnis haben, uns zu bestrafen, da Sie nichts anderes sind als unser von uns gewählter Vertreter. (...)

Lächerlich ist diese Entscheidung, weil Sie wissen müßten, mindestens aus der relativ jungen geschichtlichen Erfahrung, daß keinerlei administrative oder polizeiliche Maßnahme einen Dichter, einen Schriftsteller, einen Künstler aus dem öffentlichen Bewußtsein, in dem er sich durchgesetzt hat, entfernen kann. Er kann verfolgt werden, im Extremfall kann er physisch beseitigt werden - aber das ist auch alles.

Dies schlägt aber immer in das Gegenteil des ursprünglich angestrebten Zieles um; punitis ingeniis, gliscit auctoritas (Tacitus, Ann., IV,35), und die Täter bedecken sich mit Schimpf und Schande ohne das Recht auf Revision. Ich frage Sie nicht, wann diese illegalen und lächerlichen Sanktionen aufhören werden. Aber ich frage Sie, wie Sie sich dabei fühlen, während die langsame physische Beseitigung von Mircea Dinescu und seiner Familie stattfindet. Alexandru Paleologu, 11. November 1989

Offener Brief

Herr Dumitru Radu Popescu,

Vorsitzender des Rumänischen Schriftstellerverbands

Ich teile Ihnen auf diesem Wege mit, daß ich mich vorbehaltlos der Eingabe anschließe, die Ihnen Ende April dieses Jahres zugeschickt wurde von den berühmten Schriftstellerkollegen Geo Bogza, Stefan Augustin Doinas, Dan Haulica, Alexandru Paleologu, Octavian Paler, Andrei Plesu und Mihai Sora, denen sich später der ausgezeichnete Kollege aus Iasi, Al. Calinescu, zugesellt hat. In dieser Eingabe haben die Unterzeichner die Entlassung des Dichters Mircea Dinescu von der Zeitschrift 'Romania literara‘, die gegen ihn und seine Familie getriebene Hetze und Verfolgung als Vorgänge bezeichnet, die nicht nur in krassem Gegensatz stehen zur Satzung des Schriftstellerverbands, sondern auch dazu bestimmt sind, seine menschliche Würde zu verletzen. Diese Maßnahmen stellen das traurige und brutale Wiederaufleben einer Haltung dar, die wir alle für endgültig vergangen und unwiederkehrbar hielten, untergegangen im Dunkel der Schande und des Vergessens mit den Jahren des Dogmatismus und anderer geistiger Verformungen, die in Rumänien offiziell verurteilt wurden. In dieser Eingabe wurde auch das Veröffentlichungsverbot der Lyrikerin Ana Blandiana kritisiert. Die unmögliche Wiederkehr hat aber stattgefunden, indem Sie sie mit der Heugabel auf den Index setzten.

Als Vorsitzender des Schriftstellerverbands müßten Sie ein primus inter pares sein, der seine Kollegen verteidigt. (...) Heute sind Sie ein primus contra pares, eine Art Bestattungsunternehmer, der seine ganze Kraft darauf verwendet, die rumänische Gegenwartsliteratur in aller Stille und ohne Totenmesse zu begraben.

Sie haben Mircea Dinescu auf die Straße gesetzt! Dazu haben Sie sich des Telefons bedient. Früher hatte der Minister G. Chitu sich nur des Telegrafen bedient, als er Eminescu (in Rumänien als Nationaldichter gefeiert - Anm. d. Übers.) von seiner Stelle als Schulrevisor entließ. Aber Sie erfreuen sich der Errungenschaften der technisch-wissenschaftlichen Revolution! Ihr Telefon funktioniert, nicht so wie das der Rufnummer 79 67 23 in der Straße Intrarea Bitoliei 25 (Rufnummer und Anschrift von M. Dinescu - Anm. d. Übers.), wo einer der größten rumänischen Dichter wie ans Kreuz geschlagen dahinsiecht.

Ana Blandiana, diese würdevolle Frau und Dichterin von authentischem internationalem Ruf, der nicht gegen Bestechung hinter den Kulissen entstanden ist - warum darf sie nicht mehr veröffentlichen? Erwarten Sie etwa, daß sie auf den Knien zu Ihnen kommt und Sie bittet, ihr ihre vielgelesene Kolumne in der 'Romania literara‘ zurückzugeben? Ich kann Ihnen sagen, daß diese Frau, soweit ich sie kenne, niemals bettelt! Ana Blandiana gebühren hingegen Entschuldigungen!

Sie haben Stefan Augustin Doinas auf den Index gesetzt! Es scheint, als hätten Sie vergessen, daß zu der Zeit, als Sie wie ein Analphabet das Buchstabieren lernten, Doinas bereits Das Wildschwein mit dem silbernen Hauer geschrieben hatte, ein Gedicht, das längst zum Wertvollsten der rumänischen Literatur zählt. Sie stellen sich vor, daß es so 'ne Kleinigkeit ist, eine monumentale Übersetzung von Goethes „Faust“ anzubieten (Doinas hat den „Faust“ übersetzt - Anm. d. Übers.), als würde man seinem Pferd ein Bier geben? Dieser große Dichter (...) wird in seiner Heimat gebrandmarkt wie ein Geächteter. Das ist kein Wunder! Seit Jahren verstauben in den Verlagen zwei wichtige Manuskripte über sein Werk. Dafür aber sind über Sie drei Bücher erschienen, selbstverständlich mit der vorher streng eingeplanten öffentlichen Aufmerksamkeit.

Wenn Eminescu heute leben würde, würden Sie ihm auch das Veröffentlichen verbieten. Er würde Sie stören, er würde an Ihrem unersättlichen Ehrgeiz rütteln (...). Setzen Sie auch mich auf den Index! Ich finde es entehrend, veröffentlichen zu dürfen, wenn einigen Schriftstellern ersten Ranges die Feder aus der Hand gerissen wurde. Ich erkläre, daß ich nichts zurücknehmen werde von dem oben Geschriebenen. Jede Zurücknahme oder gegenteilige Deklaration ist entweder unter starkem Druck entstanden oder gefälscht worden, um mich zu kompromittieren.

Damit ich's nicht vergesse: Ich bitte Sie herzlichst, die von Ihnen unterschriebene Entlassung Mircea Dinescus im „Museum für rumänische Literaturgeschichte“ auszustellen. Für die künftigen Generationen und für Ihren posthumen Ruhm!

Radu Enescu,

28. September 1989

(Aus dem Rumänischen übersetzt von Helmuth Frauendorfer)