Triumphalismus

■ Der SPD-Parteitag und die Deutschlandpolitik

Große historische Augenblicke wirbeln bekanntlich leicht große Worte auf. Zumal auf einem Parteitag, der von vornherein als Parteitag der Berliner Erklärung mit einem historischen Anspruch beginnt und kein geringeres Ziel verfolgt, als die Revolution in der DDR zu einer großen Strategie der Sozialdemokratie zu erheben. Aber ist mit diesem Parteitag dieses geschichtliche Moment tatsächlich und zu Recht „zur Stunde der Sozialdemokratie“ in geradezu epochalem Sinne ernannt worden? Oder verbergen nicht alle großen Worte mehr schlecht als recht, daß dies die Stunde des Wahlkampfs ist, Deutschlandpolitik, Bestimmung des Verhältnisses zur DDR als Eröffnung des Bundestagswahlkampfes?

Tatsächlich haben die Reden von Vogel und auch von Willi Brandt weniger die deutschlandpolitischen Fragwürdigkeiten und Widersprüche geklärt als vielmehr alles in die Beschwörung eines Traditionszusammenhangs der Sozialdemokratie gestellt. Und zwar in einer Inszenierung von Sprache und Parolen, die man sich kaum massiver vorstellen kann. Es ist kein schneidenderer Widerspruch denkbar zwischen dem Triumphalismus, mit dem die DDR -Revolution kurzerhand und summarisch in den Zusammenhang der sozialdemokratischen Tradition gestellt wird, und dem tatsächlichen Kopfschütteln und dem Aufstöhnen der Genossinnen und Genossen in den Wandelgängen über die Borniertheit der Bonner SPD-Führung gegenüber den Entwicklungen in der DDR.

Nicht nur daß kaum ein Versuch unternommen worden ist, die Reformen innerhalb der SED und die realen Schwierigkeiten der Opposition zu analysieren, es wurde überhaupt der Prozeß der DDR-Revolution nicht ernsthaft zum Thema gemacht, er wurde gefeiert als längst schon in der Politik der sozialen Demokratie angelegter Sieg.

Auch wenn es mit großer persönlicher Glaubwürdigkeit vorgetragen wird, nimmt ein Zitat von Brandt doch dem neutralen Beobachter den Atem: „Im Revolutionsjahr 1989 drängt nicht länger nur der sozialdemokratische Gedanke zur Wirklichkeit, es drängt nun auch die Wirklichkeit zum sozialdemokratischen Gedanken.“ Und Brandt setzte fort: „...das noch Sperrige ist das Sperrfeuer von Ewiggestrigen“. Mit größerem Hochmut ist wohl kaum ein Wahlkampf begonnen worden. Mit größerer Arroganz, quasi als Vollender der Geschichte, ist eigentlich der DDR und der Entwicklung ihrer eigenen Geschichte die Autonomie noch nie abgesprochen worden. Wie ernst wird denn die DDR-Revolution genommen, wenn alles, was in ihr geschah und was noch kommen wird, nichts anderes sein soll, als daß die Wirklichkeit zum sozialdemokratischen Gedanken drängt. Auch wenn die Sozialdemokratie tausendmal bessere Konzepte für eine Deutschlandpolitik hat, in ihrem ungebremsten Triumphalismus, genährt vom Scheitern der SED, konkurriert sie an dem Punkt doch mit der Wiedervereinigungsrhetorik von Kohl.

Klaus Hartung