Helfer Kohl

Der Kanzler in Dresden  ■ K O M M E N T A R E

Zwei Bilder prägen sich am schärfsten ein von dem medienumlagerten Besuch des Bundeskanzlers in Dresden: die fahnenschwenkenden „Deutschland„-Rufer und das Nebeneinander der beiden Regierungschefs aus Deutschland Ost und West. Wohl selten spiegelte sich das Verhältnis zweier Staaten so treffend in der Physiognomie seiner beiden Regierenden wieder: ein Koloß von Kohl, der sich strahlend mit ausladenden Armbewegungen durch die jubelnde Menge schiebt, und ein schmächtiger, sorgenvoll dreinblickender Modrow, dem wenig anderes übrig bleibt, als im Kielwasser seines mächtigen Amtskollegen hinterher zu schwimmen, aber dennoch auf den eigenen Schwimmkünsten zu bestehen.

In dieser Konstellation, die den realen politischen und ökonomischen Bedingungen entspricht, haben sich die beiden Regierungschefs überraschend schnell auf konkrete Ergebnisse geeinigt und eine Vertragsgemeinschaft beider Staaten in sichtbare Nähe gerückt. Bei all den auf Gegenseitigkeit beruhenden Abkommen war jedoch die Rollenverteilung klar: Kohl kam nicht als einer von zwei Vertragspartnern, sondern als Helfer. Die Frage, ob nicht die Bundesrepublik verpflichtet sei, der DDR für die Hauptlast der Kriegsreparationszahlungen einen Ausgleich zu leisten, wehrte der Kanzler unwirsch ab: es sei nicht die Zeit, über alte Schulden zu reden, sondern über solidarische Hilfe. Der feine Unterschied war dem Gast aus Bonn wichtig. Schließlich kann der Helfende Bedingungen stellen, der Schuldner muß sie erfüllen.

Auch in seiner Rede an die Dresdener Bevölkerung fiel Helmut Kohl nicht aus der Rolle des - natürlich völlig selbstlos - Helfers, und die zwanzigtausend, die ihn vor der Frauenkirche erwartungsvoll umjubelten, wollten beinah sehnsüchtig an den alles verändernden Wohlstandsbringer aus dem Westen glauben. Und so hatte der Kanzler bei seinem Bad über der Menge Mühe, die Geister, die er mit seinen Reden und seinem Zehnpunkteplan gerufen hatte, in Schach zu halten. Ein Funken politischer Vernunft - das muß man anerkennen - war in den Riesen aus Bonn gefahren, als er die Schwarz-Rot-Gold Schwenkenden beim Thema Wiedervereinigung zu Augenmaß mahnte und um Verständnis für die Ängste der europäischen Nachbarn warb. Kohl mußte sich selbst die Zügel angelegt haben, als er sich nicht, wie viele befürchtet hatten, auf der Welle des Nationalismus seiner Zuhörer schaukeln ließ. Vielleicht war dies das einzige Zugeständnis, das der Kanzler bei seinem Besuch den Gastgebern aus der DDR gemacht hat. Vielleicht war es aber auch die späte Einsicht, daß die einst gerufenen Geister die DDR in ein explosives Terrain verwandeln könnten. Und auf vermintem Boden läßt sich's schlecht politisch konföderieren und noch schlechter wirtschaftlich investieren.

Vera Gaserow