Prima Leben unterm Stiefel

Montagsexperten kommen zum Schluß: Enno Bohlmann  ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E '8 9

Die Achtziger verenden. Um uns zu versichern, daß die Achtziger überhaupt stattgefunden haben (es gibt Stimmen, die das vehement bestreiten), wird zum Abschluß das große Halali aufgezogen. Rückblicke en masse: die prickelndsten Katastrophen, die geilsten Sporterfolge, die hübschesten Filme, die schürfendsten Bücher, die spitzenmäßigsten Hits, die bewegendsten Momente, die deutschesten Stunden. Es drängt sich förmlich der Eindruck auf, alle hätten nichts Eiligeres zu tun als dieses blöde, wenn nicht doofe Jahrzehnt ruckzuck hinter sich zu lassen. Die Rubrik „Überlebensbörse '89“ war so recht eine für die Achtziger, mehr noch für das vergangene Einzeljahr, dessen letzthinnige Dämlichkeit geradezu danach schrie, dokumentiert und beraten zu werden. Erinnert sei an einige Fälle, die hier Beratung finden konnten: Marion Gräfin von Dönhoff, Klaus Staeck, Günther Grass, Antje Vollmer, Eberhard Diepgen, die Berliner Polizei, der ADAC, die Filmkritik, die Friedensmahnwachen, die Karl-Marx-Straße oder die taz. Allesamt Paradebeispiele aus der Psychopathologie des Mediengebrabbels. Doch die himmelschreiende Selbstgefälligkeit der Achtziger wird mit eben diesen untergehen. Den kommenden Neunzigern wird man nicht mehr mit Montagsexperten beikommen können.

Nicht mehr die Einzelperson oder der Einzelverein und deren prahlerisches Getue und Gewese, womit sie uns tagtäglich auf die Nerven fallen, werden Zuwendung nötig haben. Jetzt, wo die Deutschen zu sich selbst, also zu den Deutschen in ihrem deutschen Sein gefunden haben, wird es vorrangig um die deutsche Volksseele gehen müssen („Deutsche Volksseele“ ist natürlicherweise ein Pleonasmus).

Völkische Seelenkunde ist der Beruf der Zukunft. Wie werden die Deutschen wieder ganzdeutschheitlich? Wie kann entdeutschten Deutschen geholfen werden (Die Unfähigkeit deutsch zu sein)? Wieso müssen Deutsche bei jeder Gelegenheit „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ singen? Genügt es, einfach nur deutsch zu sein, oder muß man auch so häßlich aussehen? Warum ist Deutschsein mit Denken unvereinbar? Kann sich das nationale Kastrationstrauma mit einer schlichten Wiedervereinigung begnügen? Umd diesen drängenden Fragen gerecht zu werden, bedarf es schon einer Reichsseelenzentrale. Diese Arbeit kann mit unseren Mitteln nicht mehr bewältigt werden. Montagsexperten wie Enno Bohlmann oder Jochen Rindt, denen schon die Tagesschau mit den deutschen Jubelbildern oder die Berliner Abendschau mit Breslau auf der großdeutschen Wetterkarte schwerste Übelkeit bereitet, sind hierbei vollkommen überfordert. Sie werfen das Handtuch. Beileidsbekundungen bitte an die Redaktion.