Übertüncht und korrumpiert

■ Der doppelte Blick - Galerien in Ost-Berlin

Wer am Potsdamer Platz den Ostteil der Stadt betritt und im Blick zurück die Mauer streift, kann unter einem grauen Film noch die Spuren des ersten Angriffs von DDR -Verbandskünstlern auf den Schutzwall entdecken. KünstlerInnen um den Pankower Grafiker Butzmann starteten hier Mitte November, unterstützt von einem französischen Farbenkonzern, eine Malaktion, deren Resultat aber nur wenige Stunden die nach Westen Flutenden erfreuen konnte. Dann ließ der zuständige Grenzkommandant seine Truppen zu den Pinseln rufen und Monochromes über den frischen Mauerrealismus streichen. Die Presse heulte auf, der Künstlerverband intervenierte. Keine Chance für Minimalisten! Der Armee blieb nur die Flucht nach vorn. Gemeinsam sollten künftig, versprach ein Propagandaoffizier, Künstler und Soldaten die Grenze schmücken, denn: „Auch wir brauchen die Kunst!“

Doch hier sprach nicht Beuys, das Konzept hat eine andere Tradition. In brüderlicher Umarmung wird so seit Jahren schon Spontaneität erdrosselt. Gegen die aufkeimende Sprayerszene setzte der Magistrat einen Bauzaun -Bemalungsplan. Was nicht genehmigt die Wände zierte, wurde übertüncht und abgewaschen, die registrierten KünstlerInnen durften dann, bezahlt und kontrolliert, die Stadt mit ausgewählten Surrogaten füllen.

The times they are a changin‘ - denn während noch die Grenzer mit den Profis stritten, wessen nun die Mauer wäre, tobte auf ihrem Grau dort, wo sie den Prenzlauer Berg tangiert, bereits ein Volkskunstfestival.

Kunst in Ost-Berlin hatte schon immer zwei Seiten, nur scheint jetzt die Stunde der Kellerkinder gekommen. Ohne Zulassungsprozeduren und Staatskontrolle soll künftig blühen, was blühen kann. Der Untergrund taucht auf. Zwischen Kirchen- und Küchentür

Die 500 Verbandskünstler der Stadt konnten in zwei Dutzend kommunalen, staatlich-kommerziellen oder von Organisationen getragenen Galerien um Ausstellungsfläche konkurrieren.

All jene, denen weder der Berufs- noch der Volkskunststatus zugesprochen wurde, blieben vor der Tür. Ihnen boten über Jahre hindurch allein kirchliche und private Räume eine Möglichkeit, ihre Arbeiten ohne offizielle Legitimation zu präsentieren.

Angefangen von den für die DDR-Kunstgeschichtsschreibung wichtigen Zimmerausstellungen des Berliner Sexualberaters Jürgen Schweinebraden (jetzt als Freiherr von Wichmann -Eichhorn in bundesdeutschen Landen) bis zu den diversen kurzlebigen Projekten der achtziger Jahre waren es insbesondere die Wohnungsgalerien, die im Ostteil der Stadt eine zweite Kultur am Leben erhielten. So auch Jörg Delochs Ausstellungsraum in der Schönhauser Allee 50, der bis zu seinem administrativ herbeigestänkerten Ende Kunst der besonderen Art offerierte. Die „AG Mauerstein“ stellte hier, in der Galerie „de Loch“, ihre ätzend bunten Frontstadtträume aus. Nur Wochen später ein letztes Mal, unter dem Dach der evangelischen Kirche, in der „konterrevolutionären Hochburg“, der „Umweltbibliothek“ am Zionskirchplatz. Danach zog auch ihr Kopf, Art-director Igor Tatschke, in den Westen.

Deloch blieb, und auch andere machten weiter. Seit einem Jahr präsentiert Friedrich Loock in seiner „Wohnmaschine“ in der Tucholskystraße 36a Werke „vom schimmligen Brot bis zum dilettantischen Grafikdesign“. Trotz Wende arbeitet auch dieser alternative Kunst- und Lebensraumverwalter noch.

Es ist leichter geworden; Schnüffelei und Repressalien sind Geschichte. Nur schwindet jetzt die Aura des Illegalen, und es bleibt zu hoffen, das Publikum nicht auch. Im Zeichen der Sonne

Die alten Sponsoren sterben. Unter dem Druck der freien Jugend zerreißt die FDJ. Was wird aus ihrem Kulturimperium? Die FDJ unterhält neben dem Berliner „Haus der jungen Talente“, in dem Biermann sein Comeback feiern konnte, diverse Klubs zwischen Pankow und Marzahn. Oft waren sie für die Kids die einzige Möglichkeit, fern der Parks und Kneipen oder elterlicher Augen die Zeit totzuschlagen. Doch in vielen Jugendklubs bot man mehr als Tischtennis, Cola und Tanz. Dort, wo sich Leute engagierten, bekamen Kleinkunst, Theater oder Lyrik einen Platz. Auch im Weißenseer Klub „Spitze“, der sich besonders durch erfrischende Ausstellungen und für die Hauptstadt ungewöhnliche Öffnungszeiten (20.00 bis 1.00 Uhr) ein Publikum erkämpfte, das mit Disko und Brause allein nicht zu gewinnen war.

Rotzige Malerei, Performance, Objekte und Fotografie fern aller repräsentativen Bemühungen gaben einer schrumpfenden Szene Gelegenheit zur Selbstdarstellung. Noch im September 1989 feierte man hier, im FDJ-Jugendklub, ein deutsch -deutsches Hochzeits- und DDR-Abschiedsfest. Im Glauben an die feste Zukunft der Mauer schlossen unterm Honecker -Porträt die Autoperforationsartistin Else Gabriel und der Westberliner Dürrenmatt-Imitator, Dichter & Sänger Max Goldt den Bund fürs Leben. Vom Rand in die Mitte

Eine Galerie, die durch die Öffnung des Walls vom Rand der DDR-Metropole mitten in das Zentrum des multikulturellen Berlins geschoben wurde, ist die kommunale „Galerie Treptow“. Hundert Meter hinter dem Kreuzberger Grenzübergang Schlesische Straße residiert Longest, Chef und einziger Mitarbeiter, in einer zum Kreiskulturhaus umfunktionierten, angeschlagenen Villa. Hier, wo sich in den Siebzigern die Jazzer im Keller trafen, versucht er durch eine programmatische Ausstellungsstrategie und ein buntes Rahmenprogramm aufzufallen. Inzwischen ist sein Unternehmen landesweit und unangefochten eine der wichtigsten Präsentationsstätten für junge Fotografie.

Der „Weiße Elefant“ hatte bislang noch keine Standortprobleme. Die Galerie mit dem für DDR-Verhältnisse originellen Namen gehört zu den wenigen Ausstellungsstätten der Stadt, deren Ausstattung den Anforderungen einer zeitgemäßen Kunstvermittlung entspricht. Auf Forderung der jungen Berliner Künstlerschaft wurde hier eine alte Essig und Senffabrik umgerüstet, um fortan ihre Werke zu präsentieren. Doch die von zwei KunsthistorikerInnen geführte Galerie begnügt sich nicht damit, die ohnehin nicht besonders innovative VBK-Szene der Hauptstadt zu befriedigen. Kunst aus der Republik, Polen und West-Berlin, Lesungen, Aktionen, Filmaufführungen u.a.m. bereichern das Angebot. Im Juni fand im „Weißen Elefanten“ die „Permanente Kunstkonferenz“ statt, der erste, wenn auch reichlich späte Versuch, Performance-art in den offiziellen Kulturbetrieb zu integrieren.

Ost-Berlins Galerielandschaft ist im Umbruch. Neue, vor allem kommerzielle Unternehmen werden gegründet und bestimmen mit ihrer am Markt orientierten und nach Westen gerichteten Ausstellungspolitik das künftige Bild von Kunst in diesem Land mit. Für viele etablierte Künstler werden die Zeiten härter, für die, die ohnehin nichts hatten, können sie nur besser werden.

a.h.m.

Anschriften:

Umweltbibliothek/Galerie

Griebenowstraße 16

Berlin 1054

Di, Do, So, 1900-2230 Uhr

Wohnmaschine

Tucholskystraße 36

Berlin 1040

Mi 1700-1900, So 1400-1800 Uhr

Galerie Spitze

Heinersdorferstraße 58

Berlin 1120

Di-So 2000-0100 Uhr

Haus der jungen Talente

Klosterstraße 68-70

Berlin 1020

Mo-So 0800-1800 Uhr

Galerie Treptow

Puschkinallee 5

Berlin 1193

Mo-Fr 1200-1900 Uhr

Galerie Weißer Elefant

Almstadtstraße 11

Berlin 1054

Di-Fr 1100-1900,

Sa 1500-1800 Uhr