Taub-Mucke im Dom

■ Der Bremer Domchor und die „Capella Agostini Steffani“ mit dem Weihnachtsoratorium im Bremer Dom

Egal, wieviel Gage das Ensemble „Capella Agostini Steffani“ für seine Mitwirkung beim Weihnachtsoratorium (Teil 4-6) bekommen hat; es war in jedem Fall zu viel. Die aus Hannover stammende Tonquälertruppe müßte eigentlich ihren Hörern noch etwas dafür bezahlen, daß diese bereit sind, sich das kakophone Gekasper anzutun. Im Musikerjargon benutzt man einen Begriff, der das „Spiel ad hoc“ charakterisieren soll: Blatt-Mucke. Nun hat die „Capelli Agostini“ gezeigt, daß es nötig ist, noch weiter zu differenzieren.

Kein einziges

stimmiges Klangbild

Besser spricht man hier in Zukunft von Blind-oder Taub -Mucke. Nicht ein einziges stimmiges Klangbild war während der ganzen Aufführung zu hören. Irgendeine Instrumentengruppe schlierte immer mindestens vierteltönig an den von Bach angegebenen Noten entlang. Abgesehen von dem ersten Trompeter, der seine Stimme bis zur Unkenntlichkeit „verquäkte“, den beiden

Violinen, die in der Arie „Ich will nur dir zu Ehren leben“ ein wirklich übles Gekratze ablieferten, verdient der Kontrabassist es, namentlich genannt zu werden: Rove Persson. Für das, was er dort zum Besten gab - ein gemeines und schiefes Gesäge - hätte er ein zeitweiliges Berufsverbot verdient.

Herausragend:

Der Bremer Domchor

Als geradezu beispielhaft kann man den Beginn des Alto -Rezitativs „Mein Liebster herrschet schon“ anführen: statt einem einfachen Sextakkord entfaltete sich plötzlich ein Cluster a la Ligeti. Ein Wunder, daß dem Altus da nicht die Stimme versagte.

Die ungeschmälerte Anerkennung für die herausragendste Leistung des Abends gehört zweifellos dem Bremer Domchor. Es ist in der Tat erstaunlich, wie sauber und leicht die enorme Mitgliederzahl sich in ihren Partien bewegt. Innerhalb der Solisten hingegen konnte man deutliche Niveau-Unterschiede feststellen. Während Phillip Langshaw (Baß) bei

nahe gewohnt souverän sang, wirkte der Altus Luiz Alves da Silva sehr gekünstelt. Je höher er kletterte, umso enger, gequetschter kamen die Töne. Elke Holzmann (Sopra), Dozentin an der Bremer Hochschule für Künste, steigerte sich - nach nervösem Beginn - im Laufe der Abschnitte und gab eine respektable Vorstellung, die nicht gering zu achten ist, wenn man mit Superstars wie John Potter (Tenor) auf einer Bühne steht.

„Spezialisten

besonderer Art“

Mildernd muß allerdings gesagt werden, daß alle Sänger - die prinzipiell bei jeder Aufführung auf die Verläßlichkeit des Orchesters angewiesen sind - mit den „Spezialisten besonderer Art“ aus Hannover einen mehr als schweren Stand hatten.

Eine interpretatorische Randbemerkung scheint mir dennoch angemessen zu sein: Es empfiehlt sich, Konventionen der barocken Musik (Stichworte: Affekt, Rhetorik etc.) bezüglich der Aufführung Bach'scher Werke schier pe

dantisch zu befolgen, um die ohnehin schon komplizierte Struktur der Stücke nicht noch zu verstärken.

Heilige Schauer

Der „sakrale Belag“ der Stimme und auch der heilige „Schauer“, mit dem die Instrumente bei Bach-Interpretationen häufig erklingen, sind nach wie vor erschwerende Relikte aus der Zeit der metaphysischen Bachideologie des 19. Jahrhunderts.

Mithin bestand die Perle der Aufführung in der „Bremer Beteiligung“, und Wolfgang Helbich dürfte bei der Generalprobe oder Anspielprobe, angesichts der niedersächsischen Blindgänger, wohl schon das große Grauen gepackt haben.

Die Vorankündigung für die „Johannispassion“ am Karfreitag dieses Jahres mag das Dompublikum, welches mit dem Anstandsapplaus für das Weihnachtsoratorium sehr lange zögerte, beruhigen: dort soll wieder das bewährte Ensemble „Steintor Barock“ spielen.

H. Schmid