Tödlicher Taumel am Tor

■ Volksfeststimmung und Alkoholseligkeit am Brandenburger Tor hielten auch noch an, als der Einsturz eines Gerüsts einen Toten und über 300 Verletzte forderte

Berlin (taz) - Der betrunkene Silvestertaumel am Brandenburger Tor in der Nacht zum neuen Jahrzehnt hat ein Todesopfer und über dreihundert Verletzte gefordert. Gegen 1.35 Uhr war das Gerüst einer Viedeoleinwand des DDR -Fernsehens, das trotz wiederholter Warnung von meist jungen Leuten erklettert worden war, zusammengebrochen. Nach der Katastrophe beschossen dann Betrunkene die Polizeibeamten und Rotkreuz-Mitglieder aus Ost- und West-Berlin, die zu Rettungs- und Bergungsarbeiten eingesetzt waren, mit Leuchtkugeln und Flaschen. Fest und Schwof Unter den Linden gingen unbeirrt weiter, während Krankenwagen aus Ost und West mit Sirenengeheul an die Unfallstätte rasten.

Die Massen waren zur deutschen Jubelfeier aus Frankreich, Italien, aus Hinterzarten und aus Leipzig angereist. Doch auch was in den beiden Teilen Berlins Beine hatte, mochte sich das Ereignis nicht entgehen lassen. Die Kontrollen an den Übergängen wurden schon bald aufgegeben, die Mauer zu einem weiteren, wenn auch etwas hoch gelegenen Übergang umfunktioniert. Selbst der Berliner Bürgermeister Walter Momper mochte es sich nicht nehmen lassen, den Wall zu erklimmen. Das Publikum hatte verschiedene Fahnen, die bundesdeutsche, die gesamtdeutsche und etliche ausländische mitgeführt und schwenkte diese pittoresk von der Mauer. Nicht nur der Wall, sondern diesmal selbst die Quadriga , die vier Pferde oben auf dem Tor, wurden bestiegen. Anhänger und Träger der unterschiedlichen Fahnen sollen sich dabei kleinere Scharmützel geliefert haben. Wer die Öffnung der Mauer nicht miterlebt hatte, besoff sich nun am gesamtdeutschen Gefühl samt Korn und Sekt.

In Kreuzberg war unterdessen die übliche Bambule ausgebrochen, Wasserwerfer, Polizeifahrzeuge und fliegende Steine bestimmten das Bild.

-ant siehe auch Seiten 5 und 10