„Dollarisierung“ Argentiniens bleibt weiterhin inoffiziell

Geldverknappung soll jetzt den Kurs des Austral wieder nach oben treiben  ■  Aus Buenos Aires Jens Holst

Wenige Monate nach ihrem Amtsantritt vermeidet es die Regierung von Carlos Saul Menem immer noch, sich der Macht der Tatsachen zu beugen. Die Dollarisierung der Wirtschaft, erst angekündigt, jetzt abgesagt, wäre ein auch in Lateinamerika einzigartiger Schritt gewesen - und hätte doch nur die Anerkennung des wirtschaftlichen Status quo bedeutet. Diese durchgreifende Wirtschaftsreform weniger als 14 Tage nach der letzten Abwertung des Austral sollte einem Umstand Rechnung tragen, der für die Verhältnisse in vielen Ländern dieses Subkontinents charakteristisch ist: Nicht die jeweilige Landeswährung stellt die grundlegende Zahlungseinheit dar, sondern der US-Dollar.

Wo immer man sich in den letzten Tagen des soeben zu Ende gegangenen Jahrzehnts in Buenos Aires nach Preisen erkundigte, erhielt man die Auskunft in Dollar, egal ob bei Fernsehgeräten, Waschmaschinen oder den bei europäischen Besuchern so beliebten Lederwaren. Auf der Grundlage des jeweils aktuellen Wechselkurses wurde dann der Preis in der Landeswährung, dem vor gut zwei Jahren eingeführten Austral, errechnet.

Vorausgegangen war, nach mehrmonatiger relativer Stabilität, eine hundertprozentige Abwertung des Austral vor nur zwei Wochen. Damit hatte die akute ökonomische Krise ihren Anfang genommen, die ein knappes halbes Jahr anhaltende Illusion von Stabilität unter der neu angetretenen Regierung hatte ein jähes Ende gefunden. In Anbetracht einer Inflationsrate von 92,9 Prozent (berechnet nach Einzelposten) allein im Dezember 89 und der unausweichlichen weiteren Geldentwertung wollten Carlos Menem und sein neu ernannter Wirtschaftsminister Erman Gonzalez mit durchgreifenden Maßnahmen in das neue Jahrzehnt gehen. Der Dollar sollte im inländischen Zahlungsverkehr offiziell neben dem Austral zugelassen werden - dies hätte sich auf alle Waren, Benzin und die Mieten erstreckt und nicht zuletzt auf den gesetzlich festgelegten Mindestlohn, der in dem neuen Wirtschaftspaket auf 50 US-Dollar angehoben worden wäre.

Der zukünftige Wechselkurs richtet sich nun nach den verfügbaren monetären Reserven der argentinischen Zentralbank. Diese darf nur so viele Geldscheine drucken, daß die zirkulierende Geldmenge ihre Reserven nicht übersteigt. Dann nämlich führt eine verstärkte Nachfrage nach Dollars - so lautet die Theorie - zwangsläufig zu einer Verknappung der im Umlauf befindlichen Australes, so daß die argentinische Währung an Attraktivität und Wert gewinnt.

Die aktuellen Rücklagen des Landes ohne seine Goldreserven, die nach wie vor nicht angetastet werden sollen, belaufen sich auf etwa 1,2 Milliarden Dollar, zu denen noch im Januar freiwerdende Bankreserven sowie ein möglicher Überbrückungskredit der USA hinzuzurechnen wären. Auf der Grundlage dieser Werte ergibt sich ein Wechselkurs zwischen 3.500 und 4.000 Australes pro US-Dollar.

Eine erhebliche Entlastung des Haushalts erhofft sich die Regierung durch den Wegfall der staatlichen Garantien für Spareinlagen und Darlehen. Die Zentralbank hatte mit riesigen Summen die Zinsen mitfinanziert, die in der letzten Woche auf die Rekordhöhe von über 300 Prozent geklettert waren. Diese neue Politik wird zwar vielen weniger solventen Banken und Kreditanstalten das Genick brechen, doch war es ohnehin fragwürdig, warum ein so hochverschuldetes Land wie Argentinien seine geringen Rücklagen in die Aufrechterhaltung eines maroden Finanzwesens stecken sollte.

Die staatliche Garantie für Geldanlagengeschäfte entfällt, und die Zinssätze werden den international gültigen angepaßt. Da Argentinien zu den Ländern höheren Risikos gehört, werden sie sich vermutlich bei 10 bis 15 Prozent für Spareinlagen und bei 15 bis 20 Prozent für Darlehen einpendeln. Die Preisgestaltung bleibt uneingeschränkt frei, und in den ersten Januartagen wird es zu einer regelrechten Preisexplosion kommen, die bereits am 30.Dezember 89 mit einer Anhebung der Benzinpreise um 50 Prozent ihren Anfang nahm. Es kam zu Hamsterkäufen im ganzen Land, alle versuchten, noch vor der offiziellen Bekanntgabe des Maßnahmenpakets möglichst viele Australes in Ware umzuwandeln. In Anbetracht der unsicheren und unkalkulierbaren Preisentwicklung öffneten viele Einzelhändler an den letzten beiden Tagen des Jahres gar nicht mehr ihre Geschäfte. Kreditkarten werden schon seit mehreren Wochen fast nirgends mehr akzeptiert: Zu groß war der Wertverlust des Austral in den wenigen Tagen, bis der Betrag den Geschäftsleuten zur Verfügung stand.

Eine rigidere Importpolitik mit höheren Einfuhrzöllen und eine Förderung der Exportwirtschaft sollen nun mithelfen, Argentinien vor dem drohenden wirtschaftlichen Niedergang zu bewahren. Das Anwachsen der ökonomischen Misere führt zu einer unübersehbaren Verunsicherung der Bevölkerung und bestärkt die putschistischen Militärs um Aldo Rico und Mohamed Ali Seneildin, auch wenn Heeresstabschef Isidro Caceres zum Jahresende die Loyalität der Armee beteu erte.

Ein Erfolg der Maßnahmen zum Jahresanfang hängt nicht zuletzt auch von den USA ab, mit deren Botschafter Wirtschaftsminister Gonzalez noch kurz vor Silvester gesprochen hatte. Doch geschenkt wird nichts: Die USA, berichtete die kritische Tageszeitung 'Pagina/12‘, machen einen Überbrückungskredit abhängig von einer veränderten Haltung Argentiniens zur Invasion in Panama, die von den meisten lateinamerikanischen Ländern verurteilt wird.