Dengs langer Arm in Bremen

■ Bremens chinesische StudentInnen in Bremen haben Angst vor der Zukunft in ihrer Heimat

In Bremen studieren rund 50 GaststudentInnen aus China. Viele von ihnen beteiligten sich im Juni 1989 in der BRD an den Protesten gegen das Regime in ihrer Heimat. Heute, ein halbes Jahr später, trauen sich die meisten nicht mehr, öffentlich ihre Meinung zu sagen. Bärbel Schmidt von der Initiative 'Solidarität mit dem chinesischen Volk‘ hat Kontakt zu den chinesischen Studenten in Bremen.

taz: Die chinesischen Studenten in Bremen sind eingeschüchtert.Wie macht sich das bemerkbar?

Bärbel Schmidt: Das merkt man daran, daß die chinesischen Studenten in der Öffentlichkeit nicht mehr reden wollen. Sowohl auf Veranstaltungen, als auch in der Presse reden sie nicht mehr. Sie sind nicht mehr bereit, öffentlich ihre Meinung kundzutun.

Mit welchen Risiken rechnen die chinesichen Studenten?

Bärbel Schmidt: Das sind schwer zu beschreibende Risiken. Es geht vermutlich nicht darum, daß sie, wenn sie nach Cina zurückkommen, gleich in das Gefängnis kommen, oder das sie verhaftet werden, sondern es steht die diffuse Drohung im Raum, daß sie keine Arbeit bekommen oder daß die Familie bedroht wird. Keine Arbeit zu bekommen, heißt in China nicht nur, arbeitslos zu sein oder Berufsverbot zu bekommen. Das heißt, keine Wohnung zu bekommen, kein Geld zu bekommen und dadurch außerhalb der Gesellschaft zu stehen. Aber absolut.

Es sind bereits einige chinesische Studenten nach dem 3.Juni nach China zurückgekehrt. Wie ist es denen ergangen?

Bärbel Schmidt: Aus Bremen sind bisher zwei Studenten nach China zurückgekehrt. Soweit man weiß,

ist denen nichts widerfahren. Aber denen droht das Gleiche, wenn sie sich dort politisch äußern, oder dies nach dem 3.Juni in Bremen getan hätten. Das wäre dann in ihre Personalakte gekommen. Jeder Chinese hat in seiner Einheit eine Personalakte, die für ihn nicht einsehbar ist, und je nachdem, was darin steht, hat das Konsequenzen für seine Existenz.

Du hattest vor kurzem eine Begegnung mit einem Chinesen, der für vier Monate in der Bundesrepublik weilt. Was hat er von seiner Heimat berichtet?

Das Alltagsleben geht ganz normal weiter. Neu sind die vermehrten politischen Schulungen. Jede Einheit und jeder Betrieb, jeder Arbeiter und Wissenschaftler muß an der politischen Schulung teilnehem, muß also die Veröffentlichungen von Deng Xiao Ping studieren. Man muß seine Meinung kundtun, daß heißt aber, man muß die offizielle Meinung kundtun, weil es ein zu großes Risiko wäre, eine andere Meinung auszusprechen. Es ist so, daß alle diese Meinung verbreiten müssen, aber es ist so, daß die meisten Chinesen diese Meinung nicht teilen. Man sagt nicht, was man denkt, man redet das nach, was gehört werden will.

Haben die chinesischen Studenten in Bremen noch Kontakt zu ihren Eltern?

Sie haben im allgemeinen schon Kontakt, sowohl telefonisch als auch brieflich, aber man hütet sich davor, politische Themen anzusprechen, weil da die Kontrolle wieder sehr undurchsichtig ist. Es wird vermutet, daß die Telephonate und Briefe kontrolliert werden. Wohl nicht alle, aber es besteht das Risiko, daß kontrolliert wird. Und daher werden politische Themen ausgespart.

taz:Werden die Studenten in der Bundesrepublik von der chinesischen Regierung bespitzelt?

Das kann man nicht klar beantworten. Es gibt Informationen, daß nach dem 3.Juni 50 chinesische Sicherheitsbeamte in die Bundesrepublik geschickt wurden. Die sollen jetzt in den Universitätsstädten sein. Die chinesischen Studenten wissen nicht, ob das wirklich 50 sind, oder ob sie wirklich in den Universitätsstädten sind. Aber diese Information trägt natürlich zu der Verunsicherung bei.

Jetzt kann ich mir vorstellen'daß viele chinesische Studenten hier bleiben wollen. Bleiben viele hier oder fahren die wieder nach

Hause?

Die meisten werden wohl nach Hause fahren. Ich weiß von einigen, die im Sommer hätten zurückfahren müssen, daß sie länger hierbleiben. Die haben auch ein Visum in Bremen bekommen. Es wollen etliche auch 1990 ihren Aufenthalt verlängern, um die Situation abzuwarten. Aber letztendlich wollen wohl alle wieder zurück nach China.

Fragen: David Safie

Die Initiative „Solidarität mit dem chinesischen Volk“ veranstaltet Diskussionsabende und Ausstellungen zum Thema 'China nach dem dritten Juli‘. Kontakt: Bärbel Schmidt, Tel. 382912.