Noriega, Bush und der „Waschlappenfaktor“

Der Mittelamerikaexperte Larry Birns ist Chef des Washingtoner „Council for Hemispheric Affairs“  ■ I N T E R V I E W

taz: Sie waren der letzte Amerikaner, der General Noriega Anfang Dezember getroffen hat. Welchen Eindruck macht er damals auf Sie?

Larry Birns: Noriega hatte mehrere Tage nicht geschlafen, schien unter dem Einfluß von Drogen zu stehen. Dennoch erschien er mir als sehr clever und aufgeweckt, lieferte eine durchdringende und intelligente Analyse der US -panamaischen Beziehung und erklärte mir, warum sich die USA Mitte der 80er von ihm abwandten.

Warum denn?

Die USA, so erzählte mir Noriega, hätten ihn fallen lassen, nachdem Admiral Poindexter als Abgesandter der Reagan -Administration im Mai 1985 nach Panama gekommen sei, und von ihm verlangt habe, panamaische Truppen zur Unterstützung der Contra-Operationen gegen die Sandinistas in Nicaragua einzusetzen. Als er, Noriega, diese Hilfe verweigerte, habe ihm Poindexter damals ins Gesicht gesagt: „Sie werden die Konsequenz dieser Entscheidung noch bereuen.“

Nach den jüngsten Ereignissen muß es Noriega noch viel schlechter gehen als Anfang Dezember. Haben es die USA etwa darauf abgesehen, ihn mit ihrer Zermürbungstaktik und Rockmusik in den Selbstmord zu treiben?

Die psychologische Kriegsführungsabteilung der 82. Luftlande-Division arbeitet mit ihrer Honky-tonk-Musik vor der Nuntiatur wohl auf so etwas hin. Aber mich überrascht in diesem Zusammenhang eher, daß noch niemand - selbst die Spanier nicht - Noriega bisher Asyl angeboten hat. Von den Kubanern weiß ich aus erster Hand, daß sie Noriega aufnehmen würden; wenn auch nur im alleräußersten Notfall, weil Kuba eine noch größere Verwicklung in die internationale Drogenproblematik befürchtet. Ähnliches wird für Nicaragua gelten.

Was geschieht denn, wenn Noriega in Panama vor Gericht gestellt wird. Werden die USA ihn dann nicht einfach abgreifen?

Möglicherweise, weil es in Panama ja nicht die von den USA gewünschte Todesstrafe gibt.

Dann wäre allerdings die Autorität der Regierung Endara völlig untergraben.

Ja, und dies ist Endara sehr wohl bewußt. Deswegen die Meinungsverschiedenheiten in seiner Regierung über die Behandlung Noriegas, den sie nicht wirklich wollen, aber auch den USA nicht ohne Gesichtsverlust überlassen können.

Hätte Noriega in den USA denn überhaupt ein faires Gerichtsverfahren zu erwarten?

Ich glaube, daß die Anklage vor einem US-Gericht gar nicht be- stehen könnte. Der Oberste US-Staatsanwalt hat das letztens signalisiert.

Was halten Sie denn für die wahrscheinlichste Lösung?

Daß er in einem Land außerhalb der westlichen Hemisphäre Asyl erhalten wird.

Woraufhin die offene Jagd auf Noriega erst eröffnet würde.

Es wird dann bestimmt einen ganzen Industriezweig geben, der Verträge zu seiner Ermordung vergeben wird, weil er für viele einfach zu viel weiß.

Was waren denn außer dem Kopf des Generals die Gründe für die US-Intervention in Panama?

Das wichtigste ist die Tatsache, daß es für die Bush -Administration hier nicht um nationale Sicherheitsinteressen ging, sondern um die Demonstration eigener Stärke und Entscheidungsfähigkeit; um eine Wiedergutmachung der Ereignisse im November, als sie es versäumte, den gegen Noriega putschenden Offizieren zu Hilfe zu kommen. Seitdem wurde Bush von allen Abgeordneten als Waschlappen bezeichnet. Deswegen hatte Bush innenpolitisch gar nichts zu verlieren.

Wie peinlich wäre denn ein Noriega-Prozeß in den USA für den Ex-CIA Chef Bush?

Vor Gericht hätten wir die gleiche Situation wie in den Iran-Contra-Prozessen. Der Angeklagte würde zu seiner Verteidigung die Veröffentlichung von Geheimpapieren verlangen, die dann zeigen würden, daß die USA und Bush schon lange von Noriegas Drogengeschäften gewußt haben, darüber aber hinwegsahen, weil der General für ihre Mittelamerikapolitik nützlich war, weil er über Panama die nachrichtendienstliche Beobachtung und Bekämpfung der Sandinistas in Nicaragua ermöglichte.

Sind Sie angesichts des in der Vergangenenheit recht starken panamaischen Nationalismus nicht überrascht, in welchem Ausmaß jetzt die amerikanischen „Befreier“ in Panama Stadt gefeiert werden?

Wir sehen hier diejenigen jubeln, die über Noriegas Sturz erleichtert sind. Seine Anhänger und auch die Nationalisten sind im Augenblick ruhig. Außerdem ist die schwarze und arme Bevölkerungsmehrheit, die Noriega traditionell unterstützt hat, 1988 zur Opposition übergelaufen. Nicht aus politischen Gründen, sondern einfach, weil sich die Leute vom Sturz Noriegas und der anschließenden Aufhebung der US-Blockade eine Verbesserung ihrer verzweifelten wirtschaftlichen Situation versprachen.

Endara hat nun das Image, ein Präsident von Amerikas Gnaden zu sein. Kann er damit an der Macht bleiben, oder wird es bald die Forderung nach Neuwahlen geben?

Endara hat kein Präsidentenkaliber. Er ist ein Kompromißkandidat. Dennoch wird die Bevölkerung Panamas erst einmal auf wirtschaftliche Reformen unter der Endara -Regierung drängen, ehe sie Neuwahlen fordern wird.

Den Meinungsumfragen zufolge gibt es in der amerikanischen Öffentlichkeit für die Intervention in Panama eine noch größere Zustimmung als beim Einmarsch in Grenada oder nach der Bombardierung Libyens. Wie erklären Sie sich denn das Fehlen jeglicher Kritik?

Die Bush-Administration hat Noriega erfolgreich als überlebensgroßes Monster dargestellt, auf den sich die ganzen Frustrationen der Amerikaner über das eigene Drogenproblem projizieren lassen. Viele Amerikaner haben die Illusion, daß mit Noriega auch das Drogenproblem verschwinden würde. Mittelamerika ist außerdem das letzte Thema, das die amerikanischen Bürger heute beschäftigt, selbst solche, die wir gemeinhin als „Liberale“ bezeichnen würden.

Das Gespräch führte Rolf Paasch