Die neuen Methoden der Missionare

■ Im peruanischen Cusco unterstützt die bundesdeutsche Entwicklungsorganisation GTZ fragwürdige bevölkerungspolitische Programme der peruanischen Regierung / Anspruch und Wirklichkeit eines Beispiels „moderner“ Familienplanung in der Dritten Welt

Gabriela Simon

Cusco heißt soviel wie „Nabel“. Das Städtchen im peruanischen Andenhochland war einst als Haupstadt des Inka -Staates gegründet worden; von den spanischen Erorberern dem Erdboden gleichgemacht, wurde es später auf den alten Grundrissen wiederaufgebaut. Jede Straßenecke erinnert an die Konialherrschaft und an die Zerstörung einer alten außereuropäischen Kultur. Wer Frauen hier mit bevölkerungspolitischen Programmen konfrontiert, setzt sich leicht in die Nesseln, die in Jahrhunderten rassistischer Unterdrückung und Fremdbestimmung gewachsen sind.

„Mit großer Sorgfalt müssen die Missionare nach jenen Zauberern forschen, die aus Kräutern Zaubertränke bereiten, um schwangeren Frauen die Leibesfrucht abzutreiben“, heißt es in den Ergebnissen der kirchlichen Synode von Quito. Das war im Jahre 1570, knapp 40 Jahre, nachdem der spanische Eroberer Francisco Pizarro in Südamerika gelandet war. Eingriffe in das Reproduktionsverhalten der nicht-weißen Bevölkerung sind tatsächlich genauso alt wie das Bestreben des weißen Mannes, die „Indios“ Lateinamerikas zu beherrschen. Dem katholischen Klerus galten die traditionellen Methoden der Geburtenkontrolle als „heidnische“ Gebräuche, sie unterlagen strengster Verfolgung.

Im ausgehenden 20.Jahrhundert erscheinen die Missionare der westlichen Zivilisation größtenteils als Vertreter von Entwicklungshilfeinnstitutionen. Hormonpräparate und Spiralen im Gepäck, verkünden sie die frohe Botschaft der modernen Verhütungsmittel, und ihr Auftrag lautet: Verringerung der Geburtenrate, Eindämmung des Wachstums der nichtweißen Bevölkerung... Doch ist das nicht überholt, Schnee von gestern? Die Familienplanungsexperten haben sich doch verändert, dazugelernt! Wer redet heute beispielsweise noch von „Bevölkerungsexplosion“, oder wer wagt es noch, an Sterilisationsprogramme zu denken? Nein, die Familienplaner von heute haben längst die Emanzipation der Frauen auf ihre Fahnen geschrieben.

Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen leitete seinen letzten „Weltbevölkerungsbericht“ mit den Worten ein: „Das Ausmaß, in dem Frauen über Angelegenheiten, die ihr Leben betreffen, frei entscheiden können, könnte der Schlüssel zur Zukunft nicht nur der armen, sondern auch der reichen Länder sein.“ Das könnte fast aus einem feministischen Manifest abgeschrieben sein. Auch die Bevölkerungspolitiker der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), der staatlichen Entwicklungshilfe-Institution der Budesrepublik, sind mit ihrem Diskurs auf der Höhe der Zeit. So heißt es im 'gtz info‘: „Die moderne Familienplanung knüpft historisch an das „Birth Control Movement“ als radikal-progressive Bewegung in Europa und den USA an, das Wurzeln in den feministischen und sozialistischen Theorien des ausgehenden 19. und des frühen 20.Jahrhunderts hatte.“ Vergessen wir die alten Vorbehalte gegen Bevölkerungspolitiker! Freuen wir uns darüber, daß die verantwortlichen Männer in der GTZ feministische und sozialistische Traditionen weiterentwickeln. Und wie sehen sie aus, die „modernen Familienplanungsprogramme“ in der Dritten Welt? Die GTZ unterstützt nach eigenen Angaben weltweit 17 Projekte, die Familienplanungsprogramme von Regierungen der Dritten Welt fördern. Eines davon ist das Mutter-Kind-Programm in den ländlichen Gesundheitszentren des Departamento Cusco, das gemeinsam mit dem peruanischen Gesundheitsministerium durchgeführt wird. Eine Kampagne mit Folgen

Der Arzt und GTZ-Experte Jens Hermann, einer der Verantwortlichen im Gesundheitsprojekt in Cusco, ist über mein Erscheinen nicht besonders erfreut. „Was wollen Sie denn jetzt noch mit diesem Thema?“ fragt er genervt. „Das ist doch alles schon Vergangenheit!“ „Dieses Thema“ betrifft eine Familienplanungskampagne vom April letzten Jahres, mit der sich die GTZ eine Menge Kritik eingehandelt hat. In einer Serie von Radiospots, die in den großen Radiosendern Cuscos ausgestrahlt wurde, wurde die Spirale als einzige und ideale Methode der Empfängnisverhütung für Frauen angepriesen sowie über die Möglichkeit der kostenlosen Versorgung informiert. Die Risiken und Nachteile dieser Methode fanden in den Radiospots ebensowenig Erwähnung wie die Möglichkeit, sich für andere Methoden zu entscheiden. Alarmiert durch diese merkwürdige Art, die „freie Entscheidung“ der Frauen über Verhütungsmethoden zu fördern, machte sich das Frauenzentrum Amauta, das schwerpunktmäßig im Gesundheitsbereich arbeitet, auf die Suche nach den Hintergründen der Kampagne. Es stellte sich heraus, daß das Programm - neben der GTZ - von dem peruanischen Gesundheitsministerium, der US-amerikanischen Entwicklungsagentur USAID sowie den privaten Organisationen Planifam und pro familia getragen war und einem bestimmten Zweck diente: der Ausbildung von Krankenschwestern, die das Legen der Spirale lernen sollten.

Von den befragten Frauen aus den Armenvierteln Cuscos, denen im Rahmen dieser Kampagne die Spirale eingesetzt worden war, wußte keine, daß es sich um eine Ausbildungsmaßnahme handelte; sie waren weder über mögliche Risiken der Spirale informiert worden noch gab es eine ausreichende gynäkologische Voruntersuchung, und viele fühlten sich „wie Tiere“ behandelt. Am 27.April schrieben die Amautas in einem Brief an den GTZ-Arzt Helmut Blickling: „Wir haben festgestellt, daß das Fehlen von Information und angemessenen Leistungen zu einer Situation geführt hat, in der Frauen der Volkssektoren mißhandelt werden. So wurden in einigen Fällen Frauen mit einem Geschwür Spiralen eingesetzt, in anderen Fällen wurde nicht einmal die Einwilligung der interessierten Frauen abgewartet.“

17 Institutionen und Frauengruppen aus Cusco protestierten in einer öffentlichen Erklärung gegen die Arbeitsmethoden der verantwortlichen Organisationen und fragten nach dem Zusammenhang dieser Kampagne mit der neuen bevölkerungspolitischen Strategie der US-Entwicklungsagentur USAID. USAID hatte der peruanischen Regierung im November 1988 eine neue Strategie vorgelegt, die heftige Proteste auslöste. Sie sieht vor, die Förderung aller Programme zur Aufklärung und zur Versorgung der Bevölkerung mit kurzfristig wirksamen Verhütungsmitteln (Kondome, Pillen, etc.) einzustellen, und nur noch die - als „kosteneffizienter“ betrachteten - langfristigen Methoden zu unterstützen: Spiralen, Norplant und Sterilisation. Familienplanung ist in dieser Strategie auf ein einziges Ziel reduziert: Verringerung der Geburtenrate bis zum Jahre 2000 von heute 4,3 auf „2,5 Kinder pro Frau“.

Die Frauen der armen städtischen und ländlichen Sektoren, die in den letzten Jahren einen brutalen Verelendungsprozeß durchmachten, werden durch aggressive bevölkerungspolitische Kampagnen in eine sehr schwierige Lage gebracht. Der Bedarf an Familienplanung und die Abhängigkeit von Programmen ausländischer Institutionen ist so groß wie nie zuvor. Aber die Frauen sind in diesen Strategien lediglich Teil einer Masse, deren gefährliche Ausdehnung es einzudämmen gilt und deren Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit keine Rolle spielen. Viele haben berechtigte Angst vor Methoden, über deren Wirkungsweise sie niemand informiert. „Ich werde dich kurieren“

USAID finanziert in Peru 70 Prozent aller bevölkerungspolitischen Programme und beherrscht weitgehend die Ausrichtung der Familienplanungspolitik des peruanischen Gesundheitsministeriums - also auch des „Projektpartners“ der GTZ in Cusco. Im Juli und August absolvierte eine Mitarbeiterin der Amautas ihr Praktikum in einem ländlichen Gesundheitszentrum im Departamento Cusco. Dort war die Durchsetzung der neuen Strategie von USAID im Rahmen des Mutter-Kind-Programms offenbar schon weit fortgeschritten. In dem Gesundheitszentrum ist eine Hebamme für die Familienplanung in 20 Dorfgemeinschaften zuständig. Sie kommt aus einem anderen Teil Perus und versteht kein Wort Quechua, die Muttersprache der Indios in der Region. Einige Beobachtungen in diesem Gesundheitszentrum haben die Amautas in einem Bericht über die Familienplanungspolitik in Cusco zusammengefaßt: „Bei einem Besuch in drei Dorfgemeinschaften untersuchte die Hebamme mehrere Frauen und sagte: „Ich werde dich kurieren, damit du keine Kinder mehr bekommst“, oder „ich werde dich untersuchen“. Und sie nutzte die Situation, um einigen Frauen Spiralen einzusetzen. Als wir einen Monat später zurückkamen, waren die Frauen dieser Dorfgemeinschaft alarmiert. Einige hatten Blutungen gehabt, eine Frau hatte die Spirale wieder ausgeschieden. Die Frauen waren offensichtlich empört, weil man etwas in ihre Gebärmutter eingesetzt hatte, ohne ihnen etwas zu sagen. Und noch beunruhigender war es zu sehen, daß alle Frauen, nicht nur die, denen eine Spirale eingesetzt worden war, unter physischen und psychischen Beschwerden litten. Und als eine Frau kam und sagte: „Mir geht es schlecht. Was für ein Zeug haben Sie mir eingesetzt?“ antwortete das Gesundheitspersonal in aggressivem Ton: „Wir tun Dir etwas Gutes, damit Du keine Kinder mehr bekommst. Hier ist es umsonst. Wir kommen von weit her, und Ihr könnt nicht einmal anerkennen, was gut für Euch ist. Ihr seid sehr dumm und unwissend. Die Regierung gibt Geld für Euch aus, an anderen Orten kostet das Millionen!“

Was geht hier vor? Zunächst ist es das rassistische Verhalten einer peruanischen Hebamme. Aber diese Hebamme ist von ihrem Arbeitgeber, dem peruanischen Gesundheitsministerium, orientiert worden. Das erklärte Ziel des größten Finanziers dieses Gesundheitsministeriums, der USAID, ist, möglichst viele Frauen im gebärfähigen Alter mit einer Spirale zu „versorgen“. So wird im Rahmen des Mutter -Kind-Programms die Untersuchung oder Impfung des Kindes regelmäßig genutzt, um die Mutter zu einer „Beratung“ in Sachen Familienplanung zu drängen. Alle diese Umstände tragen dazu bei, daß es zu Mißhandlungen und Menschenrechtsverletzungen an Frauen kommt, denen ohne ihre Einwilligung und ohne ausreichende Voruntersuchungen eine Spirale eingesetzt wird. Keine Verantwortung?

Der GTZ-Arzt Jens Hermann fühlt sich für solche Vorkommnisse nicht verantwortlich: Zwar unterstütze die GTZ das Mutter -Kind-Programm im Departamento Cusco, aber für dessen Durchführung seien die Leute vom peruanischen Gesundheitsministerium zuständig. Und da gebe es eben gute und schlechte Krankenschwestern. So einfach ist das. Auch auf den Hinweis, daß in einigen Provinzen des Departamento Cusco „Comunidades Nativas“ leben, Indianervölker, die oft seit Jahrhunderten unter Bevölkerungsrückgang leiden, reagiert Jens Hermann kalt: Es sei unmöglich, die Arbeit jeder einzelnen Krankenschwester oder Hebamme zu kontrollieren. Da der Bedarf an Verhütungsmitteln und die Abhängigkeit von den Geldern und Programmen ausländischer Institutionen sehr groß sind, haben sich die Amautas in dieser komplizierten Situation entschieden, sich nicht gegen die laufenden Familienplanungsprogramme, sondern für ihre Verbesserung einzusetzen. Einen Rückzug der ausländischen Institutionen aus diesem Bereich möchten sie nicht riskieren. Ein paar kleine Erfolge gibt es auch schon zu verzeichnen: Es soll zum Beispiel mit Beginn dieses Jahres eine neue Serie von Radiospots ausgestrahlt werden, die in erster Linie aufklärt und über alle Methoden der Empfängnisverhütung informiert. Dennoch ist es für die Frauengruppen in Cusco schwierig, ein Gegengewicht zu dem Geld und der Macht von USAID zu organisieren. Ganz außerhalb ihrer Möglichkeiten ist ein wirksamer Einfluß auf das, was in den oft sehr abgelegenen ländlichen Gesundheitszentren geschieht.

Wenn wir den Anspruch der GTZ ernst nehmen, Familienplanungsprogramme im Sinne der Frauen zu unterstützen, stellen sich einige Fragen: Warum wird die Mißhandlung von Frauen im Rahmen solcher Programme von den GTZ-Verantwortlichen nur als persönliches Versagen der Hebammen oder Krankenschwestern wahrgenommen, ohne die politischen Ursachen, die Macht und die Orientierung von USAID, zur Kenntnis zu nehmen? Die Strategie von USAID und ihr Einfluß auf die peruanische Regierung dürften in der GTZ ja bekannt sein. Warum versucht die GTZ nicht wenigstens in „ihren“ Projekten, ein Gegengewicht dazu zu bilden?

Die Möglichkeit „in verantwortlicher Selbstbestimmung die erwünschte Kinderzahl zu haben“, wie es im 'gtz info‘ so schön heißt, liegt für die Mehrzahl der peruanischen Frauen in weiter Ferne. Sie sind einem Machtgeflecht ausgesetzt, das sie in entgegengesetzte Richtungen zerrt und dessen Grundpfeiler die Amautas in ihrem Bericht so verorten: „Die Kirche, die jede moderne Empfängnisverhütung als sündhaft betrachtet; USAID, die am liebsten jeder peruanischen Frau eine Spirale einsetzen möchte, um die Bevölkerung zu reduzieren; eifersüchtige Ehemänner, die nicht erlauben, daß ihre Frauen Verhütungsmittel benutzen; und transnationale Konzerne, die ihre Produkte verkaufen wollen.“

Anmerkung: „Norplant“ ist eine Siliconkapsel, die Frauen in die Armbeuge eingepflanzt wird und fünf Jahre empfängnisverhütende Hormone absondert.