piwik no script img

Nippons neuer Nationalismus

■ Mit Beginn der neuen Kaiserära gewinnt Japan noch mehr Selbstvertrauen / Von C. Yamamoto und G. Blume

Nach diesem Wochenende, an dem die einjährige Staatstrauer um den verstorbenen Kaiser Hirohito endet, wird Japans Ministerpräsident Kaifu Bonn und Berlin besuchen. Die neue Kaiserära fällt mit dem Vorwahlkampf für die Parlamentswahlen im Februar zusammen. Die rassistischen Reden von Japans Schönhuber, Shintaro Ishihara, machen diesen zum beliebtesten Mann der Regierungspartei LDP.

Locker der Schritt, formlos die Haltung, als er auf die Bühne tritt. Jemand will klatschen. Doch er sieht das Publikum nicht, geht auf die Fahne zu, die riesenhaft die Kulisse schmückt. Jetzt schweigt der Saal. Langsam verbeugt sich Shintaro Ishihara vor dem Kaiserbanner, immer tiefer. Hell leuchtet Japans aufgehende Sonne im Scheinwerferlicht. Endlich die Kehrtwendung, der Politiker winkt zur Begrüßung, Applaus braust auf.

Shintaro Ishihara, der Schriftsteller, Politiker und Verfechter rassistischer Theorien, steht im Vorwahlkampf für die Parlamentswahlen im Februar. Mit 58 Jahren wirkt er jugendlich. Seine Rede ist die eines Intellektuellen, keines Parteitagssprechers. Er spricht von der Überlegenheit der Nation und der Unfähigkeit ihrer Politiker. Er jongliert die Weltpolitik im japanischen Interesse. Er fühlt sich auf der Höhe seiner Zeit und verspricht Veränderung. In seinem Tokioter Wahlkreis Shinagawa hat er an diesem Abend 3.000 Parteianhänger versammelt. Die jubeln fanatisch, als er meint, noch im angebrochenen Jahrzehnt werde er Regierungschef von Japan sein. Eine Verehrerin haucht ihrer Freundin ins Ohr: „Welch ein junger, gefälliger und doch absonderlicher Mann!“ Absonderlich ist das vielleicht entscheidende japanische Wort. Ist er es oder ist er's nicht? Steht er innerhalb oder außerhalb des gesellschaftlichen Konsens? Als ein wenig exzentrisch, verschroben und eigenartig beschreiben ihn Parteifreunde. Wenn Shintaro Ishihara das alles nur wäre.

Japan ist mit ihm groß geworden. Schon einmal hat er seinem Volk eine neue Zeit verkündet, und jetzt, zu Beginn der neunziger Jahre, ist es wieder soweit. Damals, 1955, schrieb Ishihara seinen berühmten Roman. Die Zeit der Sonne erzählte von einem modernen Land, von Wohlstand und Freizeitvergnügen, von einem Frauenheld mit Segelboot. Viele Japaner waren arm und dankten Ishihara die neue Vision. Als der Kultroman schließlich zum Film wurde, spielte Ishiharas Bruder Yujiro die Hauptrolle. Schnell verliebte sich die Nation in ihren Helden, und der Name Ishihara verwuchs für immer mit der Idee von einem besseren, leichteren Leben im Arbeitsstaat Japan.

Drei Millionen Stimmen

für Ishihara

Kein Abgeordneter im Parlament außer Ishihara erzielte jemals bei einer einzigen Wahl drei Millionen Stimmen. Umfragen machen ihn seit Jahren zum populärsten Mann der Liberal-Demokratischen Partei (LDP), die seit vier Jahrzehnten das Land regiert. Ihm fällt es heute leicht, ein neues Zeitalter zu predigen, das am morgigen Sonntag erst richtig beginnt. Denn Japan erwacht von einem Requiem.

Nach der Trauer um den alten Kaiser folgt im Inselreich endlich die Freude über den neuen Monarchen. Am 7. Januar 1989, auf den Tag genau vor einem Jahr, starb Kaiser Hirohito mit 87 Jahren an einer langwierigen Blutkrankheit. Worauf sich das japanische Kaiserhaus nach strengem Reglement ein ganzes Jahr in tiefes, trauerndes Schweigen hüllte. Damit ist nun Schluß. Der neue Tenno, der himmlische König, wie ihn die Japaner ehrfurchtsvoll nennen, darf heute aus seinem Schatten treten. Kaiser Akihito, Hirohitos Sohn, empfängt am Sonntag den japanischen Regierungschef Toshiki Kaifu in seinem Tokioter Palast zum letzten offiziellen Gedenken an seinen Vater - danach wird Kaifu nach Bonn und Berlin aufbrechen. Für viele Menschen im modernen Japan, besonders für einfache Arbeiter, Angestellte und Bauern, beginnt mit diesem eigentlichen Startschuß in die Kaiserära Akihito, deren Zeitrechnung bereits vor einem Jahr einsetzte, ein neuer Abschnitt im Leben der Nation. Das lehrt man als Geschichte an Nippons Schulen. Deswegen wird Kaiser Akihito, wenn er in diesem Jahr nach altem Ritual und gegen alle Regeln der Verfassung zur weiblichen Göttin aufersteht, im Himmel befruchtet und schließlich nach der Wiedergeburt auf Erden als Gottkaiser den Chrysanthementhron besteigt, im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens stehen. Wer sich dann am tiefsten vor der neuen Gottheit verneigt, ist heute schon leicht zu erraten - Shintaro Ishihara.

Dabei ist Ishihara beileibe kein Traditionalist. Es läge ihm fern, den Tenno öffentlich mit Worten zu preisen. Nur zollt er ihm Respekt mit dem Besuch eines Shinto-Schreins. Oder er preist die Nationalhymne, die den Kaiser ehrt. Im diffusen Gefühl des Volkes für eine neue Zeit im Zusammenhang mit dem Kaiserwechsel erkennt Ishihara die Gunst der Stunde. Die Revolutionen in Europa, die dramatische Verschärfung des japanischen Handelskonfliktes mit den USA und die Aufbruchstimmung ins neue Jahrzehnt kommen ihm gerade recht. In all dem erkennt Ishihara die Bestätigung seiner Theorie, daß die moderne Ära zu einem Ende kommt. Hochtechnologie wird in Zukunft über die Weltherrschaft entscheiden, meint Ishihara, und deshalb werde „Japan überlegen sein“.

Der Westen sei nicht in der Lage, über seine „Vorurteile gegenüber den gelben Völkern hinwegzusehen“, argumentiert der LDP-Politiker, für den die Rasse der „wichtigste Faktor in der menschlichen Geschichte ist“. In der „Unfähigkeit“ von Amerikanern und Europäern, von den Errungenschaften Japans und anderer östlicher Staaten zu lehren, erkennt Ishihara demzufolge „die neue Schranke in der kommenden Zivilisation“. Für wie überlegen er Japan bereits hält, das zeigt der frühere Verkehrsminister Ishihara am Beispiel seiner Analyse des japanisch-amerikanischen Verhältnisses. In einer erst in Japan und dann unter US-Politikern in Washington zum Bestseller avancierten Polemik mit dem Titel Das Japan, das nein sagen kann, spottet Ishihara über die „amerikanische Arroganz“. Er sieht die wahren Gründe des US-Handelsdefizits mit Japan im US-amerikanischen Rassismus und westlicher Dekadenz. Dementsprechend verurteilt er die Bemühungen Washingtons zur japanischen Exporteindämmung. „Ist Japan noch eine amerikanische Kolonie unter amerikanischer Besatzung?“ fragt Ishihara. Als Antwort fordert er eine unabhängige japanische Machtpolitik, die beide Supermächte, die USA und die Sowjetunion, im Interesse Nippons gegeneinander ausspielt. Ein Pax Nipponica a la Ishihara.

Ein „gefährliches Tier“

Ist solches Geschwätz noch ernst zu nehmen? Bisher standen Nippons Rechtsradikale mit ihren Megaphonwagen am Straßenrand. Wie kommt es, daß der Nationalist Ishihara plötzlich in jeder besseren Talk-Show als Polit-Star vorgeführt wird? Ausgerechnet seinen Parteifreunden ist das Medienphänomen Ishihara nicht mehr geheuer. Schon werden Stimmen bei den Liberaldemokraten laut, die behaupten, Ishihara gefährde das japanisch-amerikanische Bündnis. „Unter den Größen der LDP ist er ein isolierter Mann“, meint Naohiro Amaya, ein ehemals einflußreicher Handelsbürokrat. „Sie halten Ishihara für ein gefährliches Tier.“

Nun versucht sich auch Sony-Chef Akio Morita, der mit Ishihara gemeinsam die Streitschrift über das neinsagende Japan verfaßte, von seinem Co-Autor zu distanzieren. Doch es ist der Erfolg, der Ishihara Feinde schafft. Im vergangenen Jahr machte er sich daran, eine eigene Fraktion unter den Parlamentsabgeordneten der LDP zu gründen - die unerläßliche Machtbasis eines japanischen Spitzenpolitikers. Als er im August gegen Kaifu um das Amt des Regierungschefs ein erstes und wohl nicht das letzte Mal kandidierte, gaben ihm 48 von 297 LDP-Parlamentariern ihre Stimme. Für Ishihara lag darin ein großer Achtungserfolg. Tatsächlich befindet sich die LDP nach dem Abgang der Nachkriegspatriarchen Tanake und Fukuda und den Skandalwellen der letzten Jahre in einer fraktionellen Restrukturierungsphase. Ein schlechtes Abschneiden der Partei bei den Parlamentswahlen im Februar könnte diesen Prozeß ruckartig beschleunigen - zugunsten Ishiharas.

Doch liegt dessen Zukunft nicht allein in den Händen der Partei. „Wenn sich das Verhältnis zu den USA weiter verschlechtert und die Japaner sich vermehrt als dessen Opfer fühlen, könnten sie hysterisch werden und einen hysterischen Führer wählen“, warnt der Militärexperte Kazuhisa Ogawa, prominenter Kritiker Ishiharas. Der Konfrontationskurs des Rechtsaußen trifft durchaus den japanischen Zeitgeist: Anders als in früheren Zeiten haben Selbstvertrauen und Nationalstolz während der 80er Jahre in Nippon zugenommen, ohne daß dem politische oder soziale Kräfte deutlichen Ausdruck verliehen hätten. Gerade rätseln Japans Sozialisten darüber, ob sie das Wort „Revolution“ aus ihrem Programm streichen sollen. Demgegenüber erscheint Shintaro Ishihara auch in seiner eigenen Partei als der erste, der begriffen hat, daß die Festen der Nachkriegszeit selbst im politisch bisher so unbeweglichen Japan nicht ewig halten werden. Die neue Kaiserära hat gerade erst begonnen. Pünktlich hat der Nationalismus in Nippon seinen neuen Advokaten gefunden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen