Fedelhören 45: „Draußen verreck ich doch...“

■ Obdachlose haben sich im besetzten Haus Fedelhören 45 eingerichtet / Junkies und AlkoholikerInnen bleiben unter sich

„Ich bin drogenabhängig gewesen und habe dann eine Therapie gemacht. Ich habe einen achtjährigen Sohn und habe versucht, in Bremen eine Wohnung zu bekommen. Vom Sozi habe ich nur ein Hotelzimmer bekommen. Und dann wurde mir mir mein Kind weggenommen, weil ich in einem Hotelzimmer wohnte. Dann bin ich wieder abgestürzt, lag im Krankenhaus und hatte nachher nicht mal das Hotelzimmer. Wenn ich das hier nicht gehabt hätte, wäre ich auch draußen.“

Für die 28jährige Patrizia (Na

men von der Red. geändert) und 34 weitere Obdachlose ist das Haus Fedelhören 45 die letzte Zuflucht vor dem Winter. Das Haus wurde am 12. Dezember nach einer Demo von Obdachlosen besetzt. Sieben Tage danach wurde zwischen dem Verein für Wohnungshilfe, dem Ortsamt, der Sozialbehörde und den Haus -Eigentümern ein Kompromiß ausgehandelt, der den BesetzerInnen erlaubt, bis zum 28. Februar im Fedelhören 45 zu wohnen.

Anne Löhr vom Verein für Wohnungshilfe freut sich, daß

nach anfänglichen Schwierig keiten die Drogenabhängigen und AlkoholikerInnen im Haus miteinander klarkommen: „Mittlerweile verstehen die Bewohner das hier als gemeinsame Sache. Anfangs gab es viel Ärger mit Störenfrieden, die andere geschlagen haben oder exzessiv Drogen nahmen. Die lagen dann hier, nachdem sie gespritzt haben und Tabletten nahmen, und wir mußten den Notarzt holen. Es kam auch mal vor, daß einer unten rumgekokelt hat und so beinahe ein Feuer gelegt hätte. Diese Störenfriede sind weg. In dem Haus wohnen in der ersten Etage die Alkoholabhängigen und in den anderen beiden die Drogenabhängigen. Anfangs gab es eine starke Abgrenzung zwischen den Gruppen, aber es gab jetzt sogar eine gemeinsame Hausversammlung. Vorher haben die ihre Versammlungen getrennt durchgeführt. In den kleinen Zimmern schlafen zwei oder drei Leute und in den

großen Zimmern bis zu sieben Menschen. In den jeweiligen Etagen ist das Leben mittlerweile ganz gut organisiert. Saubermachen, Müll wegbringen und die tausend Kleinigkeiten, die in so einem Haus anfallen, klappen schon ganz gut. Die haben sich sogar Hausregeln aufgestellt. “

In der zweiten Etage, bei den Drogenabhängigen, hängen gleich neben dem Putzplan diese Regeln: Gewalt ist verboten, ebenso exszessiver Drogengebrauch, „Fremde dürfen sich in Flur, Bad und Küche nicht aufhalten, nur auf Einladung der Hausbewohner“.

„Die Regeln haben wir gemacht, damit nicht geklaut oder gedealt wird. Oder daß Leute drücken und Tabletten nehmen und dann der Notarzt kommt. Deswegen kriegen wir jetzt auch Haussschlüssel, damit hier nicht jeder reinkann“, erzählt Christine, die mit ihren drei Mitbewohnern gerade in ihren Sperr

müllsesseln sitzt. „Sicher, Drogen stehen bei uns an der ersten Stelle, aber wir versuchen, es hier wohnlich zu halten. Sonst kann man ja hier nicht leben.“

Dreck ist allerdings bei weitem nicht das Hauptproblem, erzählt der 18jährige Frank: „Oft wird hier was geklaut. Das sind Leute von draußen. Wir hier tun das nicht. Wir kommen auf der Etage prima miteinander klar. Klar, jeder hätte lieber eine eigene Bude, anstatt zu viert in einem Zimmer zu leben, aber wir verstehen uns dennoch gut. Mit den Alkis da unten haben wollen wir nichts zu tun haben.“

Das beruht auf Gegenseitigkeit, berichten die Alkoholiker eine Etage tiefer. Dieter Gruber, arbeitsloser Seemann, sagt dazu: „Bei uns kommen wir bombig klar, mit denen da oben haben wir nichts zu tun und wollen das auch nicht.“

Voller Stolz erzählt er, was die Hausbewohner alles geleistet ha

ben: „Die ganze Elektronik haben wir selbst eingerichtet. Lampen, Wasser und Herd, alles selbst gemacht. Möbel haben wir vom Sperrmüll und aus Spenden. Auch von den Nachbarn. Mit denen verstehen wir uns gut. Auch die Bilder hier haben wir selbst gemalt.“

Viele von den AlkoholikerInnen waren arbeitslos. Simon, 22 Jahre alt, erzählt von seinem Winteralltag: „Ist doch klar, daß ich bei der Kälte mein Geld vom Sozi für ein Zimmer ausgebe. Dann bin ich zum Sozi gegangen und habe gesagt: 'Bei der Kälte verrecke ich doch draußen‘. Da haben die gesagt: 'Interessiert uns doch nicht‘.“

Interessieren wird es wohl auch kaum jemanden, wenn das Haus am 28.2. geräumt werden sollte. Dann wollen die Eigentümer Bautrupps in das Haus schicken, um das Haus zu sanieren - falls das Sozialamt nicht doch noch einspringt und die Sanierung übernimmt. Die Verhandlungen laufen, Ergebnisse kennt noch niemand.

Die BewohnerInnen säßen dann vermutich wieder auf der Straße. Die Sozialbehörde hat sich zwar schriftlich verpflichtet, bis Mitte Februar Ausweichquartiere zu suchen. Aber ob die Suche eerfolgreich ist, weiß bislamg niemand.

Dieter Gruber meint dazu: „Wenn ich das höre, bekomme ich eine ganz schöne Aggression. Ich werde ganz schön sauer, denn die da oben haben ja schön warme Plätze. Für Aussiedler und Ausländer gibt es Wohnungen, für uns Deutsche nicht.“ Christine wird beim Gedanken an Räumung eher traurig als aggressiv: „Was hart ist, ist daß hier am 28. Feierabend ist. Dann stehen wir wieder auf der Straße. Für viele ist das hier ein kleines Zuhause. Ich hab letztens schon mal gesagt: Ich geh jetzt nach Hause... “ David Safie