In Polen kommen die Rechten wieder

In Warschau wurde die „Nationale Partei“ nach 45 Jahren wiedergegründet / Antisemitismus und Antikommunismus als Kernstücke bei über einem Dutzend neuer Gruppierungen / Primas Glemp hegt Sympathie für die Nationalisten / Rollkommandos und Untergrundgruppen aktiv / Waffen, um es „den Kommunisten“ zu zeigen  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Der Überfall war gut vorbereitet. Die Täter kannten die Örtlichkeiten genau, sogar das Haustelefon hatten sie ausgeschaltet. Andrzej Szulc, Mitglied der Pazifistengruppe „Wolnosc i Pokoj“, kochte gerade Tee in der Küche, da flog die Tür auf und Andrzej, von mehreren Faustschlägen getroffen, quer durch die Küche. Tränengas versprühend, mit Messern fuchtelnd, wütete ein Rollkommando durch die Wohnung, in der sich das Büro der linksradikalen Splittergruppe PPS-RD befindet. Der einzige Täter, den die Anwesenden überwältigen konnten, sagte anschließend aus, er sei von der „Nationalen Wiedergeburt Polens“ (NOT), einer nationalistischen Splittergruppe, geschickt worden, um „den Sozis das Fell zu gerben“. Es habe sich um eine Vergeltungsmaßnahme für die Demolierung eines NOT-Standes vor einigen Wochen gehandelt, erklärte er später.

Der Überfall auf das PPS-RD-Lokal fand in der polnischen Presse ein starkes Echo, schien doch auf einmal das wiederzukehren, was man längst auf dem „Müllhaufen der Geschichte“ geglaubt hatte. Schon während Polens Zweiter Republik in der Zwischenkriegszeit hatten sich rivalisierende Parteien gegenseitig Rollkommandos auf den Hals gehetzt, hatten Faschisten auf jüdische Demonstranten geschossen. Wohin das führte, ist in Polen unvergessen: 1926 fiel Polens Staatspräsident Narutowicz den Kugeln eines nationalistischen Fanatikers zum Opfer, Marschall Pilsudski putschte, um, wie er zu seiner Rechtfertigung erklärte, das Land vor dem Bürgerkrieg zu bewahren.

„Wiederholt sich die Geschichte?“, fragte besorgt die Zeitung 'Polityka‘. Der Eindruck drängt sich auf, betrachtet man manche Erscheinung näher, die Polens neuer Pluralismus inzwischen hervorgebracht hat. „Ein regelrechtes Gedränge auf der Rechten“ macht die 'Polityka‘ aus, wobei die Grenzen zwischen wirtschaftsliberalen, konservativen und totalitären Tendenzen des öfteren verschwimmen. Über ein halbes Dutzend rechtsradikaler Gruppierungen gibt es inzwischen. Sie haben vor allem eines gemeinsam: Fast alle berufen sich auf die Nationaldemokratie der Zwischenkriegszeit. Deren Vorsitzender und Ideologe, Roman Dmowski, vertrat ein seltsames Gemisch aus Antisemitismus, Antikommunismus, militantem Katholizismus und prorussischer außenpolitischer Konzeption: Das polnische Volk müsse wieder Herr im eigenen Staat werden. Damit meinten die Nationaldemokraten, jene „Freimaurer, Juden und Kommunisten“, die nach ihrer Vorstellung in Polen an der Macht waren, hätten zu verschwinden.

Demokratie ist nach nationaldemokratischer Vorstellung die Herrschaft der Polen über den Rest. „Die anderen“, das sind Angehörige der nationalen Minderheiten, Kommunisten und ganz besonders Juden. Und Atheisten, denn: „Ein Pole ist nur ein Pole als Katholik.“ Vor 1945 trat die Nationaldemokratie für einen „numerus nullus“ für Juden an den Hochschulen ein, nationaldemokratische Rollkommandos überfielen jüdische Kommilitonen.

„Wir fühlen die Bedrohung durch kosmopolitische, nichtpolnische Elemente“, erklärte etwa Boleslaw Tejkowski, Vertreter zweier kleiner nationalistischer Gruppen, am 18. November 1989 in einem Saal der Warschauer Innenstadt - und erntete für diesen und ähnliche Sätze viel Beifall von den Teilnehmern der ersten Delegiertenversammlung der „Nationalen Partei“ (SN).

45 Jahre lang war sie verboten, doch jetzt können die Nationalisten offen das Erbe Dmowskis antreten. Zu ihrem eigenen Erstaunen war der Saal voll. Vor allem ältere Männer waren gekommen, doch auch einige Mittdreißiger und Studenten waren unter den Besuchern. Am Eingang lagen die Publikationen nationaldemokratischer Provenienz aus, die man bis vor kurzem nur illegal in einigen Warschauer Kirchen erwerben konnte. Jetzt liegen sie an vielen Kiosken aus: 'Slowo Narodowe‘ zum Beispiel, das Monatsheft des nationalistischen Primas-Beraters Maciej Giertych, in dem Stimmung gemacht wird gegen „die Juden“ und die „Trotzkisten von Solidarnosc“. Jan Dzizynski, Autor des 'Slowo‘, findet es denn auch skandalös, daß Israel von den USA drei Milliarden Dollar bekam, Polen aber nur 800 Millionen. Die Demonstrationen von Juden vor dem Karmeliterinnenkloster Auschwitz bezeichnet er als „Überfall“. „Wo bleibt eigentlich unser Nationalstolz?“, fragte er unter donnerndem Beifall der versammelten Nationaldemokraten.

Daß die Nationalen um Giertych Glemps harte Haltung im Karmeliterinnenstreit begrüßten, kommt nicht von ungefähr: Der Primas selbst hielt seine schützende Hand nicht nur über antisemitische Aktivitäten an Warschauer Kirchen, er betrachtet die Entstehung nationalistischer Parteien offenbar auch mit großer Genugtuung. Ende November zelebrierte er eine Messe zur Gründung der „Christlich Nationalen Vereinigung“. Für die Dmowski-Anthologie eines nationalistischen Exilverlags schrieb er das Vorwort über „den großen Polen“.

Seit Polens aufgeklärte katholische Intellektuelle und Journalisten dem nationalen Kurs Glemps die Gefolgschaft aufgekündigt haben, nähert sich der Primas ideologisch den im Parlament vertretenen „Regimekatholiken“, wie die von der „Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei“ (PVAP) früher geförderten christlichen Gruppen oft verächtlich genannt werden. PAX etwa, die bekannteste von ihnen, in der Stalin -Zeit eigentlich zur Spaltung der Kirche von dem ehemaligen Falanga-Führer Boleslaw Piasecki gegründet, gewinnt plötzlich wieder an Bedeutung. Das wäre nicht die einzige seltsame Koalition. In Giertychs Verlag „Verantwortung und Tat“ sitzt auch Jerzy Ozdowski, Ex-Staatsratsmitglied und Vorsitzender der „Vereinigung der vom Dritten Reich geschädigten Polen“. Sein Stellvertreter heißt Hubert Kozlowski, ehemaliger Redakteur der eingegangenen Wochenzeitschrift 'Rzeczywistosc‘ (Wirklichkeit), dem Organ der Antisemiten und Nationalisten in der PVAP.

Die Wiedergründung der „Nationalen Partei“ ist nur ein Glied in einer langen Kette: Im Spektrum der Rechtsparteien gibt es eine Menge Gruppierungen, die bereits älteren Datums sind. Nicht alle sind, wie die Nationaldemokraten, gegen die „antinationale Regierung Mazowiecki“ (so ein SN -Delegierter). Außer den gemäßigteren Nationaldemokraten hat auch KPN, die „Konföderation Unabhängiges Polen“, eine Loyalitätserklärung an den Staat abgegeben, wenn auch von zweifelhaftem Wert: Um ihren Anspruch auf Parteibüros durchzusetzen, besetzten KPN-Aktivisten in einigen größeren Städten öffentliche Gebäude. Sie verlangten von Mazowiecki, mit der PVAP gleichgestellt zu werden, mit jener Partei, die sie zu ihrem Hauptfeind auserkoren haben.

Einigen Gruppierungen sind selbst die Methoden von KPN noch zu harmlos. Besonders in Danzig und Krakau macht eine Gruppe von sich reden, die eigene Kampfverbände gegen Polizeikommandos aufstellt: die „Föderation der kämpfenden Jugend“ (FMW). Der Name kommt nicht von ungefähr, bereits einige Male mußten sich ganze Polizeistaffeln überstürzt zurückziehen und verarzten lassen, nachdem ein Rollkommando der FMW eine friedliche Demonstration in eine Straßenschlacht umgewandelt hatte. Auf die Frage eines Danziger Reporters, ob FMW auch bereit sei, Bomben zu werfen, meinte ein FMW-Sprecher: „Wir schließen grundsätzlich kein Mittel aus, die Unabhängigkeit zu erkämpfen.“

Die oft noch minderjährigen Schüler, die sich selbst im Werfen von Molotowcocktails ausbilden, sind für die etablierte Opposition längst nicht mehr kontrollierbar. Sie stehen unter dem Einfluß von verschiedenen Führern radikaler Gruppierungen - einer von ihnen ist angeblich der Solidarnosc-Dissident Andrzej Gwiazda in Danzig. Enge Beziehungen gibt es auch zwischen FMW, der „Kämpfenden Solidarnosc“ und der „Polnischen Unabhängigkeitspartei“. Letztere ist eine Splittergruppe von KPN, der Moczulskis Politik zu „versöhnlerisch“ ist.

Viele Mitglieder der „Kämpfenden Solidarnosc“ und der KPN leben nach wie vor im Untergrund, bedienen sich falscher Namen und Adressen und wechseln dauernd die Wohnung. Eines ihrer beliebtesten Gesprächsthemen: man müsse Waffen sammeln, um es den Kommunisten zu zeigen. Einstweilen sind das noch große Worte, politischer Einfluß steht nicht dahinter. Doch das, meinen Beobachter der Szene, könne sich bald ändern: Wenn das von Wirtschaftsreformen gebeutelte Volk genug habe von der ehemaligen Opposition. Die Kommunisten als Opposition fallen dann weg, übrig bleiben die Radikalen vom rechten Flügel. Artur Gorski, Präses des „Konservativ-Monarchistischen Klubs“: „Vielleicht ist eine Diktatur in der jetzigen Lage die beste Lösung. Hoffen wir, daß es eine Rechtsdiktatur sein wird.“