piwik no script img

„ai“ wirft Österreich „Mißhandlung“ und „Folter“ vor

Vorfälle ereigneten sich in der Regel in den ersten 48 Stunden Polizeigewahrsam / Regierung sieht sich zu einer Stellungnahme nicht in der Lage / amnesty fordert, zukünftig Verhöre auf Video aufzuzeichnen und Häftlinge routinemäßig medizinisch untersuchen zu lassen  ■  Von Andreas Zumach

„Folter“ und „Mißhandlung“ von Häftlingen in Polizeigewahrsam wirft amnesty international (ai) Österreich vor. Wesentliche Bestimmungen der im Juli 1987 von Wien ratifizierten Antifolter-Konvention der UNO sind nach Beobachtung der Menschenrechtsorganistion in der Alpenrepublik noch nicht in die Praxis umgesetzt. In einem Bericht, der heute veröffentlicht wird, listet ai für den Zeitraum seit Inkrafttreten der UNO-Konvention im Dezember 1984 128 Fälle auf, in denen insgesamt 201 Menschen von Mißhandlung oder Folter betroffen waren. ai stützt sich dabei auf Aussagen von Häftlingen, deren Rechtsanwälte, auf medizinische Gutachten und Gerichtsakten. Zu den Übergriffen gehören laut ai Schläge auf den Kopf und das Verbrennen mit Zigaretten. In dem Bericht stellt amnesty fest, daß die gegenwärtigen Maßnahmen zur Verhinderung von Mißhandlungen und die bestehenden Beschwerdeverfahren unzulänglich sind.

Die österreichische Regierung sah sich gestern auf Anfrage zu einer offiziellen Reaktion auf die ai-Vorwürfe zunächst nicht in der Lage. Die meisten ai bekanntgewordenen Fälle ereigneten sich bei der Festnahme bzw. während der ersten 48 Haftstunden. Bis Juli 1988 war es in Österreich möglich, eine/n Festgenommene/n bis zu 48 Stunden ohne Kontakt zur Außenwelt zu halten. Zwar darf seitdem ein Angehöriger, ein Anwalt oder eine andere Person umgehend nach der Festnahme informiert werden. Doch auch seit Juli '88 beziehen sich die meisten Vorkommnisse auf die Zeitspanne der ersten 48 Stunden. Unter den zahlreichen im ai-Bericht detailliert geschilderten Fällen ist der von Andreas Betz, der im Januar 1987 von Polizeibeamten Faustschläge ins Gesciht erhielt, als er den Gendamerieposten von St. Pölten aufsuchte, um Fragen über eine gegen ihn erstattete Strafanzeige zu beantworten. Das Krankenhaus, in dem er anschließend behandelt wurde, erstattete Strafanzeige. Betz konnte die Behauptung der Polizei wiederlegen, er habe den Gendamerieposten unverletzt verlassen und bekam schließlich im Septebmer 1988 vom Gericht eine Entschädigung zugesprochen. Die meisten Fälle verlaufen laut ai jedoch weit weniger glimpflich. Klagt eine mißhandelte Person gegen die Polizei, muß sie die Mißhandlung beweisen. Die einzigen Augenzeugen für Mißhandlungen sind in der Regel andere Polizeibeamte. Die Klagen würden oft abgewiesen und das Opfer seinerseits wegen falscher Anschuldigung verklagt. Aus Angst vor der für Verleumdung drohenden Strafe bat ein von ai befragter Mann, seinen Namen nicht zu nennen. Er sei im März 1988 von sechs Polizeibeamten zwei Tage lang verhört und sein Kopf zur Erzwingung eines Schuldgeständnisses mehrfach unter Wasser gedrückt worden. Der ai-Bericht stellt fest, daß sich die Situation nach der Ratifizierung der UNO -Konvention im Juli 1987 durch Wien nicht erkennbar verbessert habe. Obwohl die Konvention unmittelbar mit nationalen Gesetzen durchsetzbar sei, gälten ihre Bestimmungen in Österreich nur „weitgehend theoretisch“.

Zur verbindlichen „Umsetzung in die Praxis“ schlägt ai die Aufzeichnung von Polizeiverhören auf Tonband und Video sowie routinemäßige ärztliche Untersuchungen zu Beginn und am Ende der Haft vor. Außerdem solle die Regierung in Wien „regelmäßig vollständige Statistiken“ über Vorwürfe von Mißhandlungen und den Ausgang der entsprechenen Beschwerdeverfahren veröffentlichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen