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Wo es geleimte Wandfarbe in Pulverform gibt

■ taz-Serie zum Kennenlernen von Ost-Berlin / Zweiter Teil: „Mach-mit-Zentrum“ in der Senefelder Straße

Vorne rasselt die Klingel. Von hinten, aus der düsteren Küche kommt in seinem blauen Kittel Detlev Krüger geschleudert und ist überrascht ob der jungen Kundschaft in seinem „Mach-mit-Zentrum“ in der Senefelder Straße. Zwei kleine Knirpse wollen einen Spachtel haben. Zu Hause haben sie in einer Wand Löcher hinterlassen. „Wie alt bist Du denn“, fragt Krüger den größeren. „Ick bin achte“, antwortet der längere Lütte keck. „Dann kann ich Dir nichts leihen, Du mußt Deine Mutti schicken“, enttäuscht der Handwerker seine jungen Kunden. Denn wer in einem „Mach-mit-Zentrum“ Werkzeug leihen will, muß mindestens 18 Jahre alt sein.

Krügers „Zentrum“ ist eines von einem Dutzend im Bezirk Prenzlauer Berg. 69 „Zentren“ und „Reparatur-Stützpunkte“ gibt es in Ost-Berlin, wenn man im „Fernsprechbuch“ der „Deutschen Post“ nachzählt. Es dürfte in der Hauptstadt tatsächlich aber ein paar mehr geben. Denn ein paar Selbsthilfe-Läden haben kein Telefon. Der staatlich bezahlte Verleih soll Berlins Mietern eigentlich dabei helfen, ihre Wohnungen instand zu halten oder in einen befriedigenden Zustand zu setzen. Werkzeuge wie Pinsel, Bohrmaschine, Tapeziertisch oder Betonmischer kann jeder kostenlos zehn Tage lang entleihen. Farbe, Emailleeimer, Besen, Briefkasten, Wasserhähne oder Waschbecken bekommt sogar jeder vom sozialistischen Staat geschenkt - sofern die Kommunale Wohnungs-Verwaltung (KWV) eine Renovierung für notwendig hält.

Bis zum legendären 9. November sollten die Mitarbeiter der „Mach-mit-Zentren“ „nichts erzählen, wenn jemand von der Zeitung kommt“, berichtet der 48jährige hinter seiner Theke. Und das hatte seinen guten Grund. Denn viele Entleiher glauben, daß sie nicht beim Instandsetzen, sondern beim Klauen „mitmachen“ sollen. Der 61jährige Uli Paprot, der einen „Mach-mit„-Laden in der Choriner Straße betreut, weiß, daß 60 Prozent des Werkzeuges geklaut werden. „Unser letzter Fahrrad-Anhänger ist jetzt auch weg. 'Ist mir geklaut worden‘, hat der Entleiher gesagt“, erzählt Paprot seinem Dutzfreund Krüger bedrückt. Alle Entleiher, die Paprot derzeit bei der Rechtsabteilung der KWV angezeigt hat, seien zwischen 20 und 25 Jahren alt.

Die behalten zum Beispiel „Tapezierplatten“ einfach und verleihen sie privat weiter. Wenn die Twens nach einem Jahr von der KWV endlich zur Ost-Mark-Kasse gebeten werden, müssen sie für die Tapeziertische meist nicht einmal die Hälfte vom Neuwert und 13 Mark Miete bezahlen. Eine billige Angelegenheit, wenn man bedenkt, daß Tapeziertische (Neupreis 170 Mark) aufgrund mangelnder Versorgung nirgends zu kaufen sind. Die „Macht-mit„-Mitarbeiter haben vor längerem schon einmal angeregt, Werkzeug nur noch gegen Pfand zu entleihen, aber der Magistrat sei dagegen gewesen. Im Honecker-Sozialismus wurde eben nicht geklaut.

Aber unter Honeys und Krenzens Fuchtel sollte hinter der Theke der Werkzeug-Läden auch über etwas anderes geschwiegen werden. Die KWV teilt an die „Mach-mit-Zentren“ viel zu wenig Material aus. In der Senefelder Straße zum Beispiel gibt es vier „Tapezierplatten“ - eigentlich. Denn drei sind kaputt. Eine neue gab es das letzte Mal vor zwei Jahren. Und mit der Farbbestellung klappt es auch nicht so recht. Vor zwei Monaten hat Krüger 240 Kilogramm weiße Latex-Farbe, 240 Kilo Vorstreich-Farbe und Verdünner bestellt. Bis heute ist nichts geliefert worden.

Vorerst sind Krügers Regale aber noch mit Latex-Farbe voll, und an der Wand stapeln sich zwei Dutzend braune Pakete der VEB Kreidewerke Rügen, das Stück mit drei mal drei Kilo „Geleimter Wandfarbe“ in Pulverform gefüllt. Im Jahr verteilt Krüger in seinem unscheinbaren Laden mit dem gelben „Mach-mit„-Schild an renovierwütige Nachbarn Ware im Wert von 90.000 Mark.

Dirk Wildt

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