Kritische SPDlerin wirft Handtuch

■ Der Göttinger SPD-Vorsitzenden wurden Äußerungen über den Polizeieinsatz am 25. November zum Verhängnis / SPD-Vorsitzender Schröder fordert ihren Rücktritt auch als Landtagskandidatin

Göttingen (taz) - „Ich habe die Tragweite meiner Äußerungen im Zusammenhang mit den Göttinger Polizeieinsätzen und der Demonstration am 25. November 1989 nicht richtig eingeschätzt.“ Mit dieser Begründung warf Hulle Hartwig, bis zum Wochenanfang Vorsitzende der Göttinger SPD und Noch -Landtagskandidatin ihrer Partei, jetzt das Handtuch. Ab sofort, so die Politikerin gestern abend nach einem Gespräch mit örtlichen FunktionärInnen, werde sie als Vorsitzende des mitgliederstarken Stadtverbandes nicht mehr zur Verfügung stehen.

Der Rücktritt wurde durch starken innerparteilichen Druck erzwungen und von publizistischem Dauerbeschuß der Lokalpresse vorbereitet. Hulle Hartwig hatte sich in den vergangenen Wochen mehrmals kritisch über den Polizeieinsatz am 25.November geäußert, bei dem die Beamten „eindeutig provozierend und unverhältnismäßig“ gegen 20.000 TeilnehmerInnen einer Demonstration anläßlich des Todes der Studentin Cornelia Wessmann vorgegangen seien.

Mit dieser Meinung hatte sich die SPD-Frau, die auch im Stadtrat einen Sitz hat, in krassen Widerspruch zu der offiziellen sozialdemokratischen Position begeben. Danach nämlich war der fragliche Polizeieinsatz „auf Deeskalation und Gewaltbegrenzung gerichtet“. Stadtverbands- und Unterbezirksvorstand hielten diese Version auch dann noch aufrecht, als die u.a. im Landtag publik gemachten Mitschnitte des Polizeifunks vom 25. November genau das Gegenteil bewiesen (die taz berichtete).

Mehrere Ortsvereine der SPD hatten Hulle Hartwig in der Folge zum „freiwilligen“ Rücktritt von ihrem Vorstandsposten aufgefordert. Als Alternative boten die GenossInnen einen formalen Abwahlantrag bei der bevorstehenden Delegiertenversammlung an.

Der sozialdemokratische Spitzenkandidat für die Landtagswahlen, Gerhard Schröder, hat Hartwig inzwischen „dringend gebeten“, auch als Landtagskandidatin zurückzutreten.

Reimar Paul