Bonner Aufrüstung im „Drogenkrieg“

■ Mit neuen Gesetzen, mehr Polizei und Geld für die Anbauländer will das Bundesinnenministerium einer ernüchternden Rauschgiftbilanz beikommen / Rasterermittlung auch ohne konkreten Tatverdacht geplant / Zahl der Drogentoten 1989 um 45 Prozent gestiegen

Frankfurt (taz/dpa) - Justitia sträuben sich alle Nackenhaare, doch 975 „Drogentote“ im Jahr 1989 machen möglich, was Innenminister Schäuble im Kampf gegen den Rauschgifthandel fordert: die Möglichkeit „systematisierter Rasterermittlungen schon unterhalb der Schwelle eines konkreten Verdachts“. Um der „gefährlich verschärften“ Rauschgiftsituation Herr zu werden, müsse die Polizei schon bei begründetem Verdacht ermitteln, forderte Innenminister Schäuble gestern bei der Vorlage der Rauschgiftbilanz. Für diese „schwierige rechtspolitische Situation“ seien neue gesetzliche Regelungen erforderlich. Die Dringlichkeit der Lage, die wegen der Beschaffungskriminalität zu einer „erheblichen Beeinträchtigung der Sicherheit der Bevölkerung“ führe, unterstrich der Innenminister mit einer in allen Punkten ernüchternden Bilanz: Die Vorjahreszahl der Drogentoten wurde 1989 um 45Prozent übertroffen, die Menge des beschlagnahmten Stoffs stieg insgesamt um über die Hälfte, beim Kokain hat sie sich verdreifacht. Die Verbraucher harter Drogen werden auf 8-100.00 geschätzt, vor wenigen Jahren noch ging man von der Hälfte aus, die Dunkelziffer der neu hinzugekommenen „Erstkonsumenten“ von Koks und Heroin ist nach Angaben Schäubles um 1.200 gestiegen.

Diesem Nachfrage-Trend soll zwar mit verstärkter Prävention im Medien- und Bildungsbereich begegnet werden. Der Schwerpunkt der Drogenbekämpfung soll allerdings weiter auf der Angebotsseite liegen. Schäuble setzt dabei auf eine Verstärkung der Polizei - das BKA soll in den nächsten vier Jahren um 400 Beamte verstärkt und die internationale Zusammenarbeit intensiviert werden; zur polizeilichen Unterstützung der Erzeuger- und Transitländer in den Andenstaaten seien im Etat des BKA zehn Millionen Mark eingeplant. Mit insgesamt 100 Millionen DM Entwicklungshilfe zur Förderung alternativer landwirtschaftlicher Produkte in Kolumbien, Peru und Bolivien will die Bundesregierung die Attraktivität des Coca-Anbaus eindämmen helfen.

Mit Blick auf den zukünftigen Binnenmarkt Europa hält Schäuble, die Einrichtung einer europäischen Rauschgiftzentrale für erforderlich, die angesichts offener Grenzen auch mit den östlichen Nachbarn zusammenarbeiten soll. Die Kontrolle an den Außengrenzen müsse durch moderne technische Anlagen verstärkt werden. Die Verhandlungen mit Experten der DDR zur Drogenabwehr seien bereits angelaufen. Was die „empfindlichste Stelle“ des internationalen Drogenhandels - die Geldwäsche der Großhändler - anbetrifft, will der Innenminister gesetzliche Regelungen zwar nicht „für alle Zukunft“ ausschließen, vertraut aber ansonsten auf die „freiwillige Mitarbeit“ der Banken.

Strategisch bleibt im „Drogenkrieg“ 1990 also alles beim alten - daß die „Effizienz“ bei der Bilanz 1991 so brutal ernüchternd ausfallen wird wie heute, kann ohne Prophetie vorausgesagt werden. Jeden Versuch, den Kreislauf von immer mehr Drogen, immer mehr Toten und steigenden Preisen durch veränderte Herangehensweisen zu durchbrechen, lehnt der Innenminister entschieden ab: Schon die Forderung nach Freigabe von Drogen und der Entkriminalsierung des Endverbrauchers sei geeignet, die Gefahren des Konsums zu verharmlosen und die Hemmschwelle herabzusetzen.

mbr.