Das Ende der „Organe“

■ Zeitungsgründungsboom in Polen kontrastiert mit Schließungen/ Eine Legende kehrt wieder: Die linke Studentenzeitung „Po prostu“ wird wiedergegründet/Solidarnosc-Presse wird immer langweiliger/KP-Apparat blockt unabhängige Zeitungen ab

Klaus Bachmann

Ryszard Turski macht ein verkniffenes Gesicht, als er vom Telefon zurückkommt. „Bis jetzt ist unsere Zeitung in den Kiosken noch nicht aufgetaucht, dabei wurde sie bereits gestern vormittag fertiggedruckt.“ Turski glaubt nicht an einen Zufall, sein neues Blatt, dessen druckfrische Nullnummer gerade vor ihm liegt, war bei der KP nie beliebt. Die Nullnummer erschien erst unter Mazowiecki. Doch der Pressekonzern RSW, der die neue Zeitung vertreiben soll, gehört nach wie vor der PVAP. Daß diese Turskis Zeitung nicht mag, hat gute Gründe, denn der Journalist hat eine Legende zum Leben erweckt, an die Polens Kommunisten nur ungern erinnert werden. „Po Prostu“, zu deutsch „Ganz einfach“ heißt die neue und zugleich alte Wochenzeitung, die Turski herausgibt. Sie war über dreißig Jahre lang verboten und wohl die erste oppositionelle und dennoch linksgerichtete Zeitung, die in Polen legal erschien. Eingestellt wurde sie im Herbst 1957 - Gomulka war sie zu kritisch geworden. „Sicher waren wir links, aber damals wie heute bedeutete das auch antikommunistisch“, meint Turski heute, der bereits damals Redakteur des Studentenblattes war.

Wenn dem so war, geschrieben hat das damals jedenfalls niemand so. Po Prostu war damals eher der Versuch, so etwas wie Öffentlichkeit herzustellen, den polnischen September, die Tauwetterperiode Gomulkas auszunutzen zu dem, was man heute weiter östlich Glasnost nennt. Po Prostu beschrieb als erste Zeitung die sozialen Probleme der Intelligenz, die Not auf dem Lande, Probleme des Alkoholismus und engagierte sich für ein Bündnis zwischen Intelligenz und Arbeitern. Als sich die Redakteure für oppositionelle Klubs und unabhängige Sejmkandidaten einzusetzen begannen, wurde es der Parteimacht zu viel. Gomulka zeigte, wo sein Tauwetter Grenzen hatte und stellte das Blatt ein. Daß Po Prostu zu einer Legende wurde, hängt nicht nur damit zusammen, sondern vor allem mit dem Los seiner Redakteure, Mitarbeiter und Sympathisanten. Die fanden sich im März 1968 als Köpfe der Studentenrevolte auf den Demonstrationen der Hochschulen wieder zusammen und organisierten in den siebziger Jahren das „Komitee zur Verteidigung der Arbeiter“ (KOR).

Po Prostu war die Wiege für die linksliberale Wiege der polnischen Opposition. Als daher zwei der letzten Po-Prostu -Redakteure von damals 1988 die Idee hatten, das Blatt wiederzugründen, war die Liste der Unterstützer lang: Vom Schriftsteller Andrzej Szczypiorski über den Historiker Bronislaw Geremek, Ex-Polityka-Redakteur und jetzigen Wohnungsbauminister Paszynski bis zum heutigen Chef der Sozialistischen Partei und KOR-Gründer Jan Lipski reichte sie. Und sie sind auch jetzt Mitherausgeber und Mitarbeiter des neuen Po Prostu.

Die Zensur hat das Projekt lange blockiert, berichtet Turski. Auch der damalige Regierungssprecher Jerzy Urban äußerte sich 1988 negativ über den Wiederbelebungsversuch: Da wollten einige Oppositionelle, die mit der wahren Po Prostu - Tradition nichts zu tun hätten, ein Stück Parteigeschichte zum Kampf gegen die Partei mißbrauchen. Urban muß es wissen, er war selbst Redakteur von Po Prostu. Turski: „Manche der ehemaligen Redakteure haben sich von unseren Idealen sehr, sehr weit entfernt.“

Das Beispiel Po Prostu zeigt, wie langsam aber stetig Polens Presselandschaft evolutioniert. Turski ist nicht der einzige, der alte, lange Zeit zum Schweigen verurteilte Titel wieder herausbringt. Einer der Po-Prostu-Mitarbeiter (heute wie damals) ist Stefan Bratkowski, Vorsitzender des Polnischen Journalistenverbandes und Mitarbeiter der Gazeta Wyborcza und der Gazeta Bankowa. Bratkowski hat nun „Nowoczesnosc“ (am ehesten wohl mit Fortschritt zu umschreiben), einen Titel der Zwischenkriegszeit wieder zum Leben erweckt.

Ziel des Blatts: Wirtschaftspolitische Zusammenhänge möglichst verständlich wiederzugeben und zu kommentieren. Der Trend, der bei der Wiedergründung von „Nowoczesnosc“ und „Po Prostu“ deutlich wird, ist neu und für Polens Leser überraschend. Es werden immer mehr Zeitungen außerhalb der Gewerkschaft Solidarnosc gegründet. Ein Trend, den der Runde Tisch erstaunlicherweise eher verzögert als erleichtert hat. Turski: „Am Runden Tisch hat die Oppositionsseite Zeitungen für Solidarnosc ausgehandelt, was auch bedeuete, daß von der Gewerkschaft als damals einziger offen organisierter Kraft herausgegebene Blätter Papier zugeteilt bekamen. Andere wie wir - nicht.“ Damals war das Papier knapp, aber billig, heute ist es nicht mehr so knapp, weil teuer. Die Solidarnosc-Presse hatte damit einen wichtigen Wettbewerbsvorteil. Den hat sie allerdings schlecht genutzt.

Zwar sind überall im Lande inzwischen lokale Solidarnosc -Zeitungen entstanden, die Gewerkschaft hat ihr altes Flaggschiff von 1981, den „Tygodnik Solidarnosc“ wieder, doch hat es sich erwiesen, daß die Blätter umso besser sind, je weniger sie sich unter der Kuratel der Gewerkschaftsführung befinden. Der Extremfall eben des „Tygodnik Solidarnosc“ zeigt es überdeutlich. Als Chefredakteur Mazowiecki Premier wurde, setzte Gewerkschaftsführer Walesa dessen Nachfolger ab und ersetzte ihn durch ein Mitglied der Gewerkschaftsführung. Lech Kaczynski, so sein Name, hat allerdings nie als Journalist gearbeitet. Aus Protest verließ fast die gesamte Redaktion das Blatt. Aus dem nicht sensationellen, aber lesbaren Solidarnosc - Organ ist nun ein langweiliges, von Gewerkschaftsthemen völlig unberührtes und an der Aktualität vorbeischreibendes Blatt geworden, in dem amerikanische Bestseller nachgedruckt, Gerüchte verbreitet und politische KÄmpfe der Vergangenheit noch einmal ausgetragen werden. Übertroffen wird der „Tygodnik Solidarnosc“ da nur noch von seinen gewerkschaftlichen Gegnern, der OPZZ-Zeitung „Der Gewerkschafter“, der nicht einmal mehr von den OPZZ -Mitgliedern richtig ernst genommen wird und der „Stettiner Solidarnosc“, dem Blatt der Stettiner Walesa-Gegner um Marian Jurczyk, dessen Inhalt sich hauptsächlich darauf beschränkt permanent drei Dinge zu beweisen: daß Walesa ein Diktator und Spalter ist, daß ganz Polen von Deutschland aufgekauft werden soll und daß die Kommunisten noch gefährlicher sind als früher, weil sie jetzt im Schafspelz auftreten und sich mit Walesa zusammentun.

Als Positivbeispiel der Solidarnosc-Presse ragt einzig der „Tygodnik Gdanski“ hervor, die Wochenzeitung ist allerdings auch kein offizielles Sprachrohr. Geradezu typisch ist hingegen die Entwicklung der „Gazeta Wyborcza“. Den Putsch im „Tygodnik Solidarnosc“ rechtfertigte Walesa seinerzeit damit, daß die Gewerkschaft die „Gazeta Wyborcza“ bereits verloren habe. In der Tat: Von der Gewerkschaftsführung ist die interessanteste polnische Tageszeitung ziemlich unabhängig geworden, und das ist ihr auch ganz gut bekommen. Kaum eine Zeitung muß sich so wenig Sorgen um die Zukunft machen wie sie: Die Auflage wird allenfalls noch durch Papiermangel unwesentlich am Steigen gehindert, das Korrespondentennetz in- und außerhalb Polens kann selbst mit der staatlichen Nachrichtenagentur PAP mithalten. Nun wird gar der Anzeigenmarkt erobert - in allen größeren Städten entstehen zur Zeit Anzeigenbüros. Die Zeit der Parteizeitungen und Organe, so scheints, ist auch in Polen vorbei.

Immer mehr Zeitungen des KP-Molochs RSW werden eingestellt oder müssen von ihren politischen Disponenten subventioniert werden. Einstweilen kann RSW noch die Gewinn aus dem Druckerei- und Verteilergeschäft in defizitäre, aber politisch wichtige Titel stecken, denn kaum eine Zeitung kommt in Polen um das Verteilernetz und die Druckereien des Monopolisten herum. Den Versuch machen nur wenige Zeitungen, die auf Abonnentenbasis mit der maroden Post zusammenarbeiten oder über inoffizielle Kanäle verkauft werden, wie die EX-Untergrundzeitschrift PWA, die von den Straßenverkäufern der „Gazeta Wyborcza“ und den Händlern der Untergrundverlage auf den Straßen verkauft wird.

Immer mehr lokale Parteizeitungen geraten indessen in Schwierigkeiten, vor allem die der ehemaligen PVAP -Verbündeten, der Vereinigten Bauernpartei, die sich inzwischen in „Polnische Volkspartei - Wiedergeburt“ umgetauft hat und der Demokratischen Partei. Hart wird es auch für die christlichen Gruppen im Parlament, die bisher als PVAP -Verbündete am Papiertopf beteiligt wurden. Doch nun wird die Planwirtschaft auch hier abgeschafft - Papier kriegt nun jeder, zum entsprechenden Preis.

Die besten Aussichten, sich auf dem freien Markt zu halten, haben da nur wenige der bisherigen „Organe“, die bisher vor allem vom Mangel an Konkurrenten lebten. Nun zeigt sich auch, daß es bisher zwar viele Jpurnalisten in Polen gab, aber nur wenig gute. Die interessantesten Zeitungen, die sich am besten verkaufen, weisen alle große personelle Überschneidungen auf: Die Mitarbeiter der Gazeta Wyborcza sind häufig auch bei der „Gazeta Bankowa“, dem „Tygodnik Gdanski“, nun auch bei „Po Prostu“ und manchmal auch als Gäste bei der „Polityka“ zu finden.

Die hat, als vermutlich einzige PVAP-Zeitung, die sich zur ihrer Partei bekennt, gute Aussichten, den Umbruch der Presselandschaft zu überleben. Immerhin hat sie etwas geschafft, was den wenigsten Titel der Volksrepublik gelungen ist, in die neue Zeit hinüberzuretten: Auch dann noch interessant zu sein, wenn die Spannung beim Lesen nicht mehr daher rührt, nachzuvollziehen, wie es dem Schreiber gelungen ist, die Zensur an der Nase herumzuführen. „Früher konnte man damit rechnen, daß die Zeitung ausverkauft ist, wenn ein mutiger Artikel über ein verbotenes Thema, von Katyn bis Solidarnosc drin war. Heute schreibt jede Zeitung dreimal pro Woche über Katyn. Jetzt muß man wirklich gut sein, um gelesen zu werden.“

Der Verdacht jedoch, die Polityka sei gut, weil sie von der Zensur absichtlich gehätschelt werde, ist nun wiederlegt. Sie ist auch dann noch gut, wenn sie kein verbotenes Thema anrührt, weil es praktisch keine verbotenen Themen mehr gibt. Doch auch in ihrem Fall gilt: Die Zeit der Organe ist vorbei. Denn wie die Gazeta Wyborcza hält auch sie eine gewisse Distanz zum eigenen Lager.