Das ewige Jammern lähmt und schreckt ab

■ Der Spielraum für feministische Ansätze ist heute stark eingeschränkt. Doch es wurden einige Erfolge erzielt. Es lohnt sich, weiterzuarbeiten.

Claudia Pinl

Unter grünen Feministinnen ist die Depressivität in Mode gekommen. Nach dem Motto „Gestern standen wir vor dem Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter“, wird allenthalben beklagt, es gebe in dieser Partei keinen Spielraum für feministische Politik oder habe ihn nie gegeben. Diese Larmoyanz lähmt die verbliebenen Feministinnen, auf neue kann sie nur abschreckend wirken.

Unsere zugegebenermaßen harterkämpften Siege - Quotierung, Forderung nach ersatzloser Streichung des Paragraphen 218, nach Beibehaltung der Mindeststrafe von zwei Jahren für Vergewaltiger - verschwinden ebenso in diesem grauen Sumpf der Weinerlichkeit wie der Elan neuer Frauen, die hier und da noch zu uns kommen.

Ja, wo sind wir denn eigentlich? Jedenfalls nicht in der frauenbewegten Kuschelgruppe der neunziger Jahre, wo frau ihre Streicheleinheiten kriegt, wenn sie sich nur ordentlich ausweint. Wir arbeiten in einer Organisation, die sich seit ihrer Gründung zum Ziel gesetzt hat, am hiesigen Parlamentarismus zu partizipieren. Das heißt, wir arbeiten in einer patriarchalischen Organisation. Das war von Anfang an so, wenn es auch in den letzten drei, vier Jahren deutlicher hervortrat.

Daß der Spielraum für feministische, ebenso wie für andere radikale Ansätze gegenüber den Anfängen vor zehn Jahren stark eingeschränkt ist, hat meines Erachtens vor allem strukturelle Ursachen. Eine dieser Ursachen ist die „Ursünde“ selbst, die Konstituierung als Partei, die Teilnahme an Wahlen.

Hatte man/frau anfangs geglaubt, die Parlamente als Resonanzboden nutzen zu können, um die Rolle der BürgerInnen -Initiativen und Bewegungen auf der politischen Bühne zu stärken, so stehen die Grünen heute ohne ihr „Standbein“ da

-die Massenbewegungen der siebziger Jahre haben sich verlaufen, die Kontakte zur verbliebenen Basis gestalten sich oft mühsam. Und aus dem Naschen der „Antipartei“ am Parlamentarismus ist inzwischen eine ziemlich schamlose Gefräßigkeit geworden.

Die Gesundheitsschäden sind nicht nur an der Frauenpolitik und ihren Repräsentantinnen abzulesen: Abschleifen und Zurichten einst radikaler Forderungen auf das parlamentarisch Vertretbare beziehungsweise in einer eventuellen rot-grünen Koalition Machbare; Profilneurosen unserer Bonner Damen und Herren in einem Ausmaß, wie sie die „Altparteien“ nicht kennen oder zu kaschieren wissen; Neid und Konkurrenzkisten untereinander, Taktik und Powerplay gegen die eigenen FraktionskollegInnen, wenn es darum geht, ein Thema zu besetzen, in die Presse oder das Fernsehen zu kommen, wieder aufgestellt zu werden.

Dabei geht nicht nur feministische Frauenpolitik, sondern vieles den Bach runter, für das Grüne einst antraten. Längst geht es beispielsweise in der Friedenspolitik der Bundestagsfraktion nicht mehr um einseitige Abrüstung, sondern um den „Einstieg“ in eine „defensiv“ strukturierte Bundeswehr einschließlich Nato-Zugehörigkeit. Warum sollte es uns Feministinnen mit unseren Anliegen besser ergehen in dieser Partei als den radikalen RüstungsgegnerInnen?

Die Verhandlungen mit dem Parlamentarismus, die Abhängigkeit von Wahlen, Stimmen und Stimmungen verführt viele Grüne, vor allem in der Landtagsfraktion, dazu, politische Grundsätze mal eben über Bord zu werfen, um sich besser scheinbar vorherrschenden Strömungen in der Bevölkerung anpassen zu können. Ein aktuelles Beispiel ist das Gequatsche von MdB Stratmann über das „Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen in der BRD und DDR“.

Ein unserem Thema näherliegendes, die plötzliche Begeisterung gestandener Frauenpolitikerinnen wie Antje Vollmer und Waltraud Schoppe für das „Muttermanifest“. Von diesem hört frau Göttin sei Dank mittlerweile nichts mehr. Der frauenpolitische Schaden, den die „Promis“ durch ihre ebenso kurz- wie durchsichtige Begeisterung (die neue Frauenbewegung schien sich zu formieren) angerichtet haben, wirkt bis heute nach.

Aber auch nach dem Flop mit dem Müttermanifest nagen die Versuchungen der Stimmungsdemokratie weiter an unseren Damen und Herren: Anything goes - vom lindgrünen Kapitalismus a la Fischer bis zur „selbstbewußten Akzeptanz“ des „Zickzackkurses weiblicher Lebensläufe“ (Schoppe/Wülffing). Derartigen Versuchungen, die Parlamentarismus und Parteiensystem laufend produzieren, nicht nachzugeben, erfordert wohl mehr politische Standfestigkeit und Weitblick als viele unserer MandatsträgerInnen haben.

Eine andere Entwicklung, die von uns nur teilweise zu beeinflussen ist, ist der Themenklau durch die SPD. Das betrifft sowohl die Ökologie als auch die Frauenpolitik. In der Medienöffentlichkeit gilt inzwischen die SPD als Erfinderin der Quote. Daß unsere Themen von anderen aufgegriffen und für deren Zwecke zurechtgebogen werden, läßt sich nicht vermeiden. Aber daß wir uns gerade aus der Quotierungsdiskussion so sang- und klanglos verabschiedet haben - zugunsten zum Beispiel von „Mütterpolitik“ -, ist unser eigenes politisches Versagen. Mehr Beharrungsvermögen, Bestehen auf radikalen Grundsätzen, die schließlich Ergebnisse langer Entwicklungen sind, täte uns gut.

Die Tatsache, daß die Frauenquote ihre Sprengkraft nun in Verbänden, Altparteien und Gewerkschaften entfaltet, heißt für mich, daß wir so falsch mit dieser Forderung nicht lagen.

Schließlich hat sich die Frauenbewegung, als deren parlamentarisches Sprachrohr wir uns verstanden und teilweise noch verstehen, verändert. Sie hat sich zum großen Teil in ihre autonomen Projekte zurückgezogen und ist zur Zeit am besten durch die Aussicht auf grün-vermittelte Staatsknete aus der Reserve zu locken. Zwar gelingt es von Fall zu Fall, Betroffene zu mobilisieren, etwa beim Thema Paragraph 218 oder der Mindeststrafe für Vergewaltiger aber es fehlt der kontinuierliche Diskussionszusammenhang.

Die Probleme sind real, unser Spielraum ist kleiner geworden. Scheinbar Selbstverständliches muß immer wieder neu erkämpft werden (z.B. die Quotierung der Jobs in der Bundestagsfraktion). Das kostet Energien, macht auf Dauer mürbe. Vielleicht mich weniger als andere, weil ich für meine tägliche Klein- und Wühlarbeit immerhin nach BAT bezahlt werde.

Außerdem beziehe ich Kraft aus der Tatsache, daß ich von ein paar tollen Kolleginnen umgeben bin. Und ich erfreue mich auch an Erfolgen, die andere vor lauter Jammer schon gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen: Der leidige Konflikt um die Mindeststrafe für Vergewaltiger ist nach anderthalb Jahren zugunsten der von Feministinnen vertretenen Forderung beendet worden; die Grünen sind weiterhin die einzige Partei, die für die ersatzlose Streichung des Paragraphen 218 eintritt - auch das ein harterkämpfter Sieg. Nur die Grünen vertreten die Forderung nach konsequenter Quotierung der Erwerbsarbeit.

In jedem dieser Bereiche geht es darum, patriarchalische Normen außer Kraft zu setzen, zum Beispiel das Verfügungsrecht von Männern über Uterus und Vagina von Frauen. Die Grünen sind auch die einzige Partei, in der lesbische Abgeordnete versuchen, Lesbenpolitik zu betreiben.

„In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod.“ In der gegenwärtigen Situation kommen wir nur weiter, wenn wir uns wieder auf radikale Forderungen besinnen. Auf Forderungen, die den Kern partriarchaler Strukturen berühren. Ich denke da zum Beispiel an den von meinen Kolleginnen im AK Frauenpolitik erarbeiteten Gesetzentwurf zur Beendigung der Diskriminierung von Prostituierten. Oder an den Gedanken einer Kampagne zur Abschaffung der Ehe.

Solche Themen kommen bei Wahlveranstaltungen auf der Schwäbischen Alb zwar nicht so gut an. Aber das kann unser vorherrschendes politisches Interesse nicht sein. Ich freue mich schon auf die hitzigen Debatten, die wir damit provozieren werden - innerhalb und außerhalb der Partei.

Claudia Pinl, Journalistin und Autorin, wurde in den 70er Jahren in der Frauenbewegung aktiv. Seit 1986 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin in der grünen Bundestagsfraktion, Arbeitskreis Frauenpolitik.