Die deutschen Müllweltmeister

■ Kein anderes Land hat ein ähnliches Ausmaß an grenzüberschreitendem Mülltourismus / Greenpeace verlangt die Beteiligung der BRD-Industrie an der Sanierung der maroden DDR-Deponien / Neuer DDR-Umweltminister Diederich erblickt das Primat der Umwelt

Ost-Berlin (taz) - Greenpeace hat der bundesdeutschen Industrie vorgeworfen, die DDR in Konspiration mit der SED jahrelang als Mülldeponie mißbraucht und dem Land dadurch schwere Schäden zugefügt zu haben. Jetzt müsse sie sich an der Sanierung der von ihr mitverursachten Altlasten beteiligen, zumal sie über die billige und bequeme Entsorgung in der DDR selbst Millionenbeträge eingespart habe. Die Kosten für die Sanierung, vor allem der maroden Deponien Vorketzin und Schöneiche, könnten leicht eine Milliarde Mark überschreiten. Greenpeace stellte gestern im piekfeinen Palast-Hotel in Ost-Berlin eine Dokumentation über die DDR-Deponie Schönberg und neues Belastungsmaterial zum besonderen deutsch-deutschen Müllverhältnis vor.

Müll-Experte Andreas Bernstorff sagte, der Mülltransfer zwischen der BRD und der DDR mache den weltweit größten Teil grenzüberschreitender Mülltransporte aus. Fünf Millionen Tonnen Abfälle aller Art aus ganz Europa hätten jährlich die deutsch-deutsche Grenze passiert. „Die gezielte Ausfuhr von Umweltbelastungen, die die Bevölkerung hier nicht mehr akzeptiert und die wir im reichen Westen vermeiden können, führte zu Belastungen für andere, die nichts wissen durften und sich nicht wehren konnten.“ Der „mitleidigen Überheblichkeit“, mit der die Westmedien über die Umweltmisere in der DDR berichten, will Greenpeace jene Lasten entgegensetzen, die der Westen „in stillschweigender Kooperation mit den östlichen Bürokratien der jahrzehntelang ohnmächtigen Bevölkerung der DDR aufgebürdet“ hat.

Greenpeace erinnerte auch daran, daß die Müllexporte in die DDR glatter Rechtsbruch waren. Es sei nicht nur gegen den Paragraphen 13 des Bundesabfallgesetzes verstoßen worden, der das Primat der Inland-Entsorgung festschreibe. Auch die vom Gesetz verlangte ordnungsgemäße Beseitigung der Abfälle sei nicht gewährleistet worden. Keines der Ministerien habe sich vor Ort selbst ein Bild vom Zustand der Deponien gemacht. Statt dessen seien die geschönten Papiere der DDR -Bürokratie geglaubt worden. Aber auch nach DDR-Recht sei zumindest die Deponie Vorketzin illegal betrieben worden, weil man die Auflagen der dortigen Umland-Gemeinden nicht eingehalten habe.

Ausführlicher ging Bernstorff auf die Situation in Schönberg ein, die in einer 90seitigen Dokumentation von Conny Jürgens und Andreas Ahrens untersucht wird. Greenpeace nennt im wesentlichen vier schwere Mängel dieser Deponie:

-Haus- und Sondermüll aller Art werde, entgegen heute üblichen Standards, gemischt gelagert. Bei diesem überholten Konzept einer Reaktordeponie hoffe man, daß die verschiedenen Schadstoffe so lange miteinander reagieren, bis sie sich irgendwann beruhigen. Diese Hoffnung sei gefährlich und trügerisch.

-Die zugelassenen Abfallstoffe erlaubten viel zu hohe Giftfrachten

-Anfallendes Sickerwasser werde nicht entgiftet, sondern über der Deponie verregnet, was zu einer immer neuen Mobilität der Schadstoffe führe.

-Es fehle eine Deponiegas-Erfassung. Noch immer komme es häufig zu Bränden auf der Deponie.

Greenpeace forderte abschließend den Stopp des Müllkolonialismus und die Schließung der Deponien in Vorketzin und Schöneiche sowie umfassende Untersuchungen des Grundwassers.

Die drastische Verringerung der Müllimporte versprach gestern der neue DDR-Umweltminister Peter Diederich. Er beteuerte das Primat der Umwelt vor der Ökonomie. Der Minister bestätigte die Gesamtmenge der aus dem Westen eingeführten Haus- und Giftabfälle, die er auf 5,5 Millionen Tonnen jährlich bezifferte. Diederich kündigte für die Deponien Vorketzin und Schöneiche Sanierungskonzepte an. Er räumte ein, daß im Bereich Vorketzin das Trinkwasser verseucht sei. Vorsorglich werde überlegt, gefährdete Städte in den Kreisen Zossen und Königswusterhausen an die zentrale Wasserversorgung anzuschließen. Diederichs wird sich am kommenden Montag dem runden Tisch stellen.

Manfred Kriener