Martha Argerich war zu sehen

■ Viel Beifall für die argentinische Pianistin im 8. Meisterkonzert in der Glocke

Ein „großes“ Ereignis war angekündigt: Martha Argerich. Im 8. Meisterkonzert der Saison 1989/90 präsentierte die 48jährige gebürtige Argentinierin ihr pianistisches Können.

Nun, werfen wir zuerst einen Blick auf den Ablauf eines solchen Meisterkonzertes. Das Publikum, die Glocke, alles scheint anfangs gewöhnlich. Die Mitglieder des kleinen Orchesters (Deutsche Kammerphilharmonie, Frankfurt) sortieren sich auf dem Podium. Bruno Weil, der Dirigent, tritt hinzu, und es beginnt mit Mozarts Sinfonie nach der Serenade KV 204. Eine gewöhnliche Interpretation, zu romantisch und undurchsichtig; man scheint die historische Aufführungspraxis absichtlich zu ignorieren. (Es ist müßig, hier den gesamten auführungspraktischen Sermon erneut herunterzubeten.)

Nächster Programmpunkt: Klavierkonzert Nr. 1 von Beethoven. Martha Argerich erscheint, liefert einen unangemessenen ersten Satz, einen durch katastrophale Rubati zerstörten zweiten Satz und einen - schneller, höher, weiter! gehetzten dritten Satz ab. Das Publikum tobte wie von allen Sinnen verlassen. (Warum?) Die Pause beendete das Spektakel.

Es folgt die Orchestersuite op. 60 (nach „Der Bürger als Edelmann“) von Richard Strauß. Hier ist Weil mit seiner Kammersymphonie in seinem Element: beschwingt, melancholisch, witzig und spritzig - eben „Romantik“. Nur dem ersten Violonisten gelingt es auf beinahe „geniale“ Weise, in seinen kleinen Soli immer genau die Mitte zwischen dem ganz „richtigen“ und dem ganz „falschen“ Ton zu treffen.

Applaus (selbstverständlich nicht so lautstark wie vorher bei Martha Argerich), Abgang, Ende.

Warum?

Ein nicht geringer Teil des Publikums war wegen Martha Argerich gekommen - was macht ihre Faszination aus? Daß sie Klavier spielt, kann es nicht sein; das können viele andere auch - auch ebensogut. Daß sie eine Frau ist, scheint ebenfalls kein besonderer Umstand zu sein. Beides zusammen jedoch ist ausschlaggebend: eine Frau, die Klavier spielt. Das kann man nicht hören, nur sehen. Auf einer Schallplatte z.B. kann man nur hören, wie sie spielt, sicher sein, daß sie spielt, kann man nur, wenn man sie sieht. Das Sehen ist entscheidend, nicht das „Hören“, selbst wenn es nur für einen kurzen Augenblick ist. H. Schmid