Ostberliner Opposition jetzt mit Adresse

Der Kreisvorstand der Ostberliner SED übergab sein Haus in bester City-Lage an die Opposition / Gestern war Ortstermin in der Friedrichstraße 165 / 50 Zimmer für neun Gruppen / Die Vorgänger ließen verwaiste Topfblumen und Büromöbel zurück  ■  Aus Ost-Berlin Vera Gaserow

Die Friedrichstraße 165 in Ost-Berlin ist so etwas wie das „das erste Haus am Platze“. Ein wunderschöner Altbaukomplex in bester City-Lage, vis-a-vis vom Nobelschuppen „Grandhotel“, rechts und links elegante Modeboutiquen für die Ost-Schickeria. Seit heute ist die Friedrichstraße 165 eine Hausnummer, die sich viele merken müssen. Denn nun residiert hier die Ostberliner DDR-Opposition.

Auf drei geräumigen Etagen hält vom Neuen Forum bis zur Grünen Liga hier alles Einzug, was Rang und Namen hat in der oppositionellen Bewegung. Bis vor wenigen Tagen trug der Briefträger hier noch die Post mit dem Adressaten „SED -Kreisvorstandvorstand Berlin-Mitte“ aus. Jetzt heißen die neuen MieterInnen „Unabhängiger Frauenverband“, „Vereinigte Linke“ oder „Demokratischer Aufbruch“...

Nach einem entsprechenden Beschluß des Ministerrats, der Opposition Räume und Büroausstattung zur Verfügung zu stellen, hat die SED auf Vorschlag ihres Vorsitzenden Gregor Gysi ihr langjähriges Prunkdomizil stillschweigend geräumt. Heute soll der Vertrag mit den neuen Mietern der Friedrichstraße 165 unterzeichnet werden - gestern war Ortsbesichtigung.

„Kiek mal hier, ein richtiger Safe, wollt ihr den haben?“ „Die Wandschränke da drüben könnten wir für ein gemeinsames Materiallager und technische Gerätschaften nutzen. Es muß doch nicht jede Gruppe ihr eigenes Vervielfältigungsgerät haben.“ „Nebenan richten wir einen Konferenzraum für die gesamte Etage ein. Der reicht doch für rund 50 Leute.“

Etwas aufgeregt schieben sich rund 30 Leute mit Grundrißplänen durch die Flure der zweiten Etage des neuen Domizils. Jeweils drei Gruppen werden eines der drei weitläufigen Stockwerke in Besitz nehmen.

„Reicht euch das an Räumlichkeiten oder wollt ihr noch das Eckzimmer dazu? Vielleicht können wir die Durchgangstür abschließen.“ „Aber dann könnt ihr ja alles mithören, was wir reden“, witzelt eine der neuen Mieterinnen. Zumindest in der zweiten Etage verläuft der „Verteilungskampf“ äußerst harmonisch.

Nach jahrelanger Improvisation, ohne Schreibtisch, Telefon und Räumlichkeiten kann man angesichts der neuen Zimmerfluchten großzügig sein. Ein ganzes Labyrinth von insgesamt 50 Räumen, Konferenzzimmern und einem Sitzungssaal für 150 Leute hat der SED-Kreisvorstand seinen Nachfolgern hinterlassen - vollständig möbliert und gut renoviert zu einem Mietpreis von rund 15 Mark pro Quadratmeter mit allem drum und dran.

Alles selbstverständlich besenrein - nur unlängst verwaiste Topfblumen sind auf einigen Schreibtischen noch übrig geblieben, und in den Fluren zeugen noch alte Plakate mit „Aufbau-Aufbau-Aufbau„-Parolen vom langjährigen Wirken der Vormieter.

Zentrale Telefonnummer des Hauses der Opposition: 0372/2202091